Fünfzig Jahre Frohnau

2010 war ein Jubiläumsjahr. Am 7. Mai des Jahres bestand die Gartenstadt hundert Jahre. Das war das vierte Jubiläum, das Frohnau feierte. Die erste Jubelfeier fand im Sommer 1935 statt – also zur NS-Zeit. Die zweite Feier im Jahre 1960 – das stand die Mauer noch nicht. Die dritte war dann 1985, gute vier Jahre vor dem Mauerfall. Im Jahre 2010 feierte man schließlich  „Hundert Jahre Gartenstadt Frohnau“ an. Diese Feier war natürlich ganz groß – und dazu im seit fast zwanzig Jahren wiedervereinigten Deutschland.

Wie war das eigentlich zur 50-Jahr-Feier? Wie gesagt, es gab die Mauer noch nicht. Aber der Kalte Krieg machte uns damals das Leben schwer. Frohnau war schon acht Jahre von seinem Umland getrennt. Die DDR durfte nicht betreten werden, es sei denn, man hatte eine amtliche Erlaubnis, und die war schwer zu bekommen. Man brauchte eine Einladung von „drüben“, etwa zur Taufe, zur Hochzeit oder zur Beerdigung von Verwandten. Die Reinickendorfer fuhren damit zu einer Dienststelle nach Pankow, und hofften, ein Papier zu bekom­men, das ihnen für kurze Zeit den Verwandtenbesuch in der „Zone“ erlaubte. Damit durfte man über bestimmte Kontroll­punkte „einreisen“.

Immerhin war es noch gestattet, Ostberlin ohne Einreiseer­laubnis zu betreten. Auf den Grenzbahnhöfen Ostberlins zum Westsektor wurde ausgerufen: „Letzter Bahnhof im demokrati­schen Berlin“. Vorher hatte es noch „demokratischer Sektor“ geheißen, aber das klang der DDR inzwischen zur sehr nach Viermächtestatut, von dem man nichts mehr wissen wollte. Doch wenn die Züge Frohnau zur Abfahrt in Richtung Hohen Neuendorf bereit standen, blieb der Lautsprecher stumm. Wer als „Westler“ eingeschlafen war und nicht von mitfühlenden Mitreisenden geweckt wurde, erlebte in Hohen Neuendorf ein böses Erwachen. Er wurde von der Grenzpolizei aus der Bahn geholt und erst nach langen Verhören  wieder in den Zug ge­setzt, der ihn nach Westberlin zurückbrachte.

Der Grieben-Reiseführer von 1960 unterrichtete die Westdeut­schen, die in die Berliner Westsektoren fahren wollten: „Die Zahlungsmittel in Westberlin (DM-West) sind die gleichen wie in der Bundesrepublik.“ Gut zu wissen. Außerdem: „Für einen Aufenthalt in Ostberlin mit Übernachtung (Hotel oder privat) ist eine Genehmigung erforderlich, die rechtzeitig vorher beim Rat des zuständigen Stadtbezirks, Abt. für Innere Angelegen­heiten, beantragt werden muß.“ Und ganz wichtig: „ Auf kei­nen Fall dürfen Ausländer, Bewohner der Bundesrepublik oder Westberliner DM-Ost bei sich führen.“ Allerdings wurde dieses Verbot ziemlich häufig übertreten, wo doch die Ostmark in den westlichen Wechselstuben so günstig zu haben war. Man durfte sich nur nicht erwischen lassen. Noch gab es nicht den Zwangsumtausch.

Die Durchreise durch die DDR von und nach Westberlin war im Jahre 1960 recht kompliziert. Es gab ja noch nicht das Viermächte-Abkommen, das ab 1972 die Transitfahrt sehr er­leichterte. Doch wer zur Zeit der Frohnauer Fünfzigjahrfeier mit dem PKW durch die „Zone“ wollte, brauchte neben Aus­weis, Kraftfahrzeugschein und Führerschein auch seine Steuer­karte und den Warenbegleitschein, mit dem der Wagen das erste Mal nach Westberlin gebracht worden war, um hier ver­kauft zu werden. An den Grenzübergängen musste auf östli­cher Seite der Kofferraum, das Handschuhfach und – bei „Verdachtsfällen“ – noch alles Mögliche Andere geöffnet wer­den. Da atmete man jedes Mal auf, wenn man endlich wieder im Westen war. Immerhin brauchte man (seit 1953) wenig­stens keinen Interzonenpass mehr.

Doch nun zu Ausflügen, die der Grieben von 1960 anzubieten hat. Für den Norden Berlins (Westsektor) werden elf Spazier­gänge vorgeschlagen. Einer von ihnen trägt die Überschrift: „Zur Gartenstadt Frohnau“. Da steht gleich zu Anfang ge­schrieben: „Ein Nachmittagsspaziergang reicht kaum aus, um Frohnau kennenzulernen.“ Wie wahr. Und so geht es weiter: „Aber wer Frohnau (letzte Westberliner S-Bahnstation) – Bus 12, 15 – einmal gesehen hat, kommt gerne wieder.“ Der fol­gende Text enthält einige Ungenauigkeiten. Von der evangeli­schen Kirche solle man über den Edelhofdamm „am Wald­park“ (?) zum Buddhistischen Haus gehen, „dem einzigen Buddha-Tempel auf europäischem Kontinent“. Darauf solle man auf dem „Oranienburger Damm“ nach Norden zum „kleinen Hubertussee“ wandern, der hart an der Zonengrenze liege. Außerdem wird das Waldsanatorium (also das TBC-Krankenhaus) erwähnt, das der Wald dort oben im Norden verberge. Zum Abschluss solle man „in Richtung des hohen Bahndammes“ zur „Invalidenhaus-Siedlung“ gehen, wo es eine Gaststätte und einen Versehrten-Sportplatz gebe.

Soweit die Anregungen, die der Grieben den Berlin-Besuchern zum Thema Gartenstadt Frohnau gibt. Ein bisschen ungenau und ein bisschen knapp. Die Westseite Frohnaus wird nicht erwähnt, also auch nicht der Kasinoturm. Es wird auch nicht darauf hingewiesen, dass der Anlage der Gartenstadt ein von zwei Professoren ausgearbeiteter Plan zugrunde liegt, der ihr ein einmaliges Gepräge gibt. Ebenso bleiben die beiden zentra­len Plätze außerhalb der Betrachtung. Na ja, der Grieben emp­fiehlt schließlich, es nicht bei einem Spaziergang zu belassen.

Da kannten die Verfasser der Jubiläumsschrift von 1960 ihre Gartenstadt natürlich besser. Das Heftchen war zwar recht dünn – von den 38 Seiten waren die letzten 16 ausschließlich der Werbung vorbehalten – , aber trotzdem durchaus informa­tiv. In 21 Texten der vom Grundbesitzer-Verein herausgegebe­nen Festschrift kamen interessante Details aus Frohnaus Ge­genwart und Vergangenheit zur Sprache, angefangen von der nacheiszeitlichen Boden- und Waldentwicklung bis hin zum Vogelparadies Frohnau, von Werden Frohnaus, geschrieben vom Standpunkt eines Architekten (Walter Krüger), bis hin zur Geschichte der beiden Frohnauer Kirchen, der Schulen und des Buddhistischen Hauses. Vom „Frohnauer Dichterwald“ bis zur „Stiftung Fürst-Donnersmarck-Institut zu Berlin“. Das ge­rade philosophisch anmutende Geleitwort schrieb der Bezirks­bürgermeister Adolf Dünnebacke. Merkwürdigerweise kommt die politische Lage nirgendwo vor, auch nicht das Halbinselda­sein der damals schon jahrelang von seinem Umland abge­trennten Gartenstadt.

Eine Woche und ein Tag wurden damals gefeiert, und zwar vom Sonntag, dem 26. Juni, bis zum Sonntag, dem 3. Juli 1960. Über die ganze Zeit gab es eine Ausstellung im Gemein­desaal der Evan­gelischen Kirche. Überhaupt fand ein großer Teil des Festprogramms im Gemeindesaal statt: eine „Zwie­sprache des Bezirksbürgermeisters und seiner Stadträte“ mit den Frohnauern, ein Abend mit romantischer „Lied- und Kla­viermusik“ und ein Auftritt des Puppentheaters „Die Kuller­köpfe“. Außerdem war der Gemeindesaal aus Ausweichmög­lichkeit vorgesehen, falls das Wetter den Auftritt der „Nordber­liner Orchestervereinigung“ auf dem Zeltinger Platz verhindern sollte.

Weitere Veranstaltungsorte waren der Poloplatz und die Sportplätze. Hier gab es ein Windhundrennen, leichtathleti­sche Wettkämpfe für Schüler und Schülerinnen, ein Reittur­nier unter Mitwirkung einer französischen Militärkapelle und an zwei Tagen Fußballspiele und Tennisturniere. Den Ab­schluss der Festlichkeiten bildeten am 3. Juli um 18 Uhr „Fuß­ballkampfspiele um den Pokal des Grundbesitzervereins“. Na­türlich gab es auch einen festlichen Umzug, und zwar mit der Zollkapelle Berlin, den Frohnauer Reitern, dem Tennisclub, den Sportvereinen und den Schulen. Dabei fuhren Kremser und „blumenbekränzte“ Autos mit. In beiden Frohnauer Kir­chen gab es Festgottesdienste und anschließend ein Turmbla­sen vom Kirchturm.

In dem Jubiläumsheft gab es, wie erwähnt, sechzehn Seiten ausschließlich mit Werbung, darunter von Frohnauer Geschäf­ten, die unterdessen längst verschwunden sind, wie die Kondi­torei Herrmann, Feinkost Schmidt, die Drogerien Blume und Barleben und das Schuhgeschäft Schulz. Ebenso wenig gibt es heute das „Capitol“, unser Frohnauer Kino, das wir zur Zeit der Fünfzigjahrfeier noch besuchen konnten, und den Wel­fenhof mit seinen Geschäften und Werkstätten. Doch die bei­den Plätze im Zentrum sind geblieben, und Pläne, unter einem von ihnen eine Tiefgarage zu bauen, sind nicht verwirklicht worden. Frohnau hat seine Schönheit wenigstens zum großen Teil bewahrt, und so gab es Anlass genug, auch seinen hun­dertsten Geburtstag ausgiebig zu feiern.