Oskar Loerke

Vor hundert Jahren betrat Oskar Loerke die literarische Bühne Berlins. Vielen Froh­nauern ist sein Name bekannt, nicht aber sein Werk. Sein erstes trug den Titel „Vi­neta“; es war eine Er­zählung von 179 Sei­ten und wurde 1907 im S. Fischer Ver­lag veröffentlicht. Seine letzten elf Lebens­jahre verbrachte Loerke in Frohnau. Er wohnte in der Kreuzritterstraße 8, wo eine Ge­denktafel an ihn erinnert. Es gibt auch ei­nen Loerkesteig (seit 1976), allerdings nicht in Frohnau, aber doch ganz in der Nähe der Gartenstadt. Der Loerkesteig ist eine Fußgängerbrücke, die die Burgfrauen­straße über den S-Bahn-Graben hinweg mit dem Falkentaler Steig verbindet. Abgesehen von der Gollanczstraße, von Donnersmarckplatz und Don­ners­marckal­lee, Staehleweg und Barthstraße gibt es in Frohnau nur wenige bekannte Persönlichkeiten, die man auf Straßenschildern verewigt hat. Namen wie Veltheim­prome­nade und Richard-Wagner-Straße sind in den dreißiger Jahren des vorigen Jahr­hunderts verschwunden. Was man in Frohnau findet, sind die altdeutschen Kaiser Maximilian und Si­gis­mund, Sagenge­stalten und Helden aus Wagneropern.

Oskar Loerke stammt aus der westpreußischen Stadt Jungen an der Weichsel, wo er als Sohn eines Hof- und Ziegeleibesitzers am 13. März 1984 geboren wurde. Er habe eine unbeschwerte Kindheit gehabt, heißt es, und seine musikalische Begabung sei schon früh gefördert worden. Aufs Gymnasium ging er in Graudenz, doch bald nach seinem Abitur zog es ihn nach Ber­lin, wo er ab 1903 Geschichte, Germanistik, Philosophie und, nicht unerwartet, Musik studierte.

Doch er verließ die Universität ohne Abschluss, jedoch durch­aus nicht als Versager. 1907 veröffentlichte er die Erzählung „Vineta“, von 1908 bis 1912 unternahm er zahlreiche Reisen und hielt die Erlebnisse in Reisetagebüchern fest. 1909 traf er Moritz Heimann, den Lektor des S. Fischer Verlags, 1911 wurde er Mitglied der „Donnerstagsgesellschaft“, in der die damalige geistige Elite der Hauptstadt, Dichter, Maler, Musi­ker, verkehrte. Dieser erhabene Kreis verlieh dem jungen Schriftsteller 1913 die Hälfte des Kleistpreises, eine bedeu­tende literarische Auszeichnung. Die andere Hälfte erhielt üb­rigens Her­mann Essig, der wie Loerke als freier Schriftsteller in Berlin lebte.

Im Jahre 1917, also noch während des Ersten Weltkriegs, wurde Loerke, der aus Krankheitsgründen vom Militärdienst befreit war, Lektor im S. Fischer Verlag, eine Stelle, die mit viel und oft aufreiben­der Arbeit verbunden war. Er betreute Ger­hart Hauptmann, den er sehr verehrte und um dessen Freund­schaft er sich bemühte. Loerke verfasste eine Reihe von Buch­besprechungen, die in der „Neuen Rundschau“, der Literatur­zeitschrift seines Verlags, und im „Berliner Börsen-Courier“, erschienen.

Der Briefwechsel zwischen Hauptmann und Loerke, der 2006 von Peter Sprengel in Verbindung mit Studierenden der Freien Universität Berlin herausgegeben wurde, zeigt, dass die Freundschaft, die die beiden verband, einseitig zu Lasten Loer­kes war. Hauptmann hat ganz Recht, wenn er in seinem Nach­ruf über Loerke schrieb: „Loerke hat viel im Dienste anderer gelebt. Ich meine nicht nur im Sinne, wie jeder tätige Mensch es tut, sondern in dem, der um anderer Strebenden willen und auch anderer Meister, sich selbst und sein wesentlichstes und liebstes Wirken zurückstellt.“

Während seiner Jahre beim S. Fischer Verlag beschäftigte sich Oskar Loerke nicht nur – wie viele Expressionisten seiner Zeit – mit fernöstlichen Lehren und dem Buddhismus, sondern auch mit der Musik. 1922 veröffentlichte er einen Aufsatz mit dem Thema „Wandlungen eines Gedankens über die Musik und ihren Gegenstand“, 1935 schrieb er über Bach und 1938 über Anton Bruckner. In den zwanziger Jahren entstanden mehrere Gedichtzyklen. 1926 wurde er Mitglied der Preußi­schen Akademie der Künste und zwei Jahre später der dortige Sekretär der „Sektion für Dichtkunst“.

Mit Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft begann für Loerke eine schlimme Zeit. Er, der die Nazis als „Totengräber Deutschlands“ ansah, wurde aus der Preußischen Akademie der Künste ausgeschlossen und seine Schriften wurden verbo­ten. Angewidert zog sich Loerke in sein Frohnauer Haus zu­rück und lebte fortan in „innerer Emigration“. „Was deine Welt nicht ist, sollst du verlassen. Was dir verächtlich ist, sollst du verachten. Was du verachtest, hüte dich zu hassen“, war seine Devise. Die Zahl seiner Freunde nahm deutlich ab, und auch Hauptmann, der gegenüber den Schmeicheleien der Na­zis nicht immun war, half ihm nicht wirklich. Zu Loerkes 50. Geburtstag am 13. März 1934 schickte Hauptmann zwanzig Flaschen Sekt aus dem Adlon nach Frohnau, erschien dort aber nicht persönlich. Was er dagegen tat, war, Loerke weiter mit Arbeit in Form von neuen Manuskripten zu versorgen.

Einer der Freunde, die sich nicht von Loerke abgewandt hat­ten, war Hermann Kasack. Die beiden hatten sich bereits 1917 kennengelernt. Der zwölf Jahre jüngere Kasack war wie Loerke schriftstellerisch tätig und arbeitete bei Verlagen und beim Rundfunk. Nach Loerkes Tod wurde er dessen Nachfolger beim S. Fischer Verlag. 1955 besorgte er die Herausgabe von Loerkes „Tagebücher 1903 – 1939“.

Loerke starb am 24. Februar 1941. Dass ein physisches Herz­leiden die Todesursache werden könnte, wollte er nicht zugeben. Er trete „jedem entgegen, der behaupten wollte“, er sei „an dieser oder jener Krankheit gestorben, weil eine jegliche Krankheit durch die feindlichen Handlungen und Anschau­ungen veranlasst worden ist in langen Jahren.“ So stand es in Loerkes Testament, das man nach seinem Tode fand. Begraben ist Loerke in Frohnau, wo er auf dem Friedhof an der Hainbu­chenstraße seine letzte Ruhestätte fand.

Als eines der geglücktesten expressionistischen Stadtgedichte wird sein Sonett von 1911 mit dem Titel „Blauer Abend in Berlin“ bezeichnet, in dem die Metapher „Wasser“ die tra­gende Rolle spielt.

 

Blauer Abend in Berlin

Der Himmel fließt in steinernen Kanälen;

Denn zu Kanälen steilrecht ausgehauen

Sind alle Straßen, voll vom Himmelblauen.

Und Kuppeln gleichen Bojen, Schlote Pfählen

Im Wasser. Schwarze Essendämpfe schwelen

Und sind wie Wasserpflanzen anzuschauen.

Die Leben, die sich ganz am Grunde stauen,

Beginnen sacht vom Himmel zu erzählen,

Gemengt, entwirrt nach blauen Melodien.

Wie eines Wassers Bodensatz und Tand

Regt sie des Wassers Wille und Verstand

Im Dünen, Kommen, Gehen, Gleiten, Ziehen.

Die Menschen sind wie grober bunter Sand

Im linden Spiel der großen Wellenhand.