Stimmen für die NSDAP
Am 24. April 1932 gab es eine schicksalsschwere Wahl in Deutschland oder, genauer gesagt, in Preußen, denn es war keine Reichtstags-, sondern eine Landtagswahl. Während der Weimarer Zeit wurde das Landesparlament des Freistaates Preußen „Preußischer Landtag“ genannt. Die Abgeordneten tagten in dem Gebäude, in dem sich – nach dessen gründlicher Renovierung – heute die Berliner Abgeordneten versammeln. Es liegt an der Niederkirchnerstraße neben dem Martin-Gropius-Bau. Zwischen den beiden Gebäuden verlief seinerzeit die Mauer.
In der „Nord-Berliner Tagespost“ vom Montag, dem 25. April 1932, wurde nicht nur das (vorläufige) Gesamtwahlergebnis bekanntgegeben, sondern auch die Einzelergebnisse in den Nord-Berliner Vororten. Hier waren zehn Parteien angetreten, neben SPD, KPD und NSDAP noch sieben heute weniger bekannte Gruppierungen. Das waren die Deutschnationale Volkspartei (DNVP), eine rechtskonservative Gruppierung, die Deutsche Volkspartei (DVP), die sich nationalliberal gab und deren Mitglied bis zu seinem Tode 1929 Gustav Stresemann gewesen war, die Sozialistische Arbeiterpartei (SAP), eine linke Abspaltung der SPD, linkssozialistisch und marxistisch ausgerichtet, die Wirtschaftspartei (WP), eine Partei des Mittelstands, die mit dem Zentralverband der deutschen Grundbesitzervereine zusammenarbeitete, außerdem die eher rechts einzuordnende Deutsche Staatspartei (DStP) und schließlich die Zentrumspartei, die als Vertreterin der deutschen Katholiken bis heute in einigen Bundesländern als Kleinpartei existiert, und der Christlich-soziale Volksdienst (CSVD), der als konservative protestantische Partei erst 1929 gegründet worden war.
Die „Nord-Berliner Tagespost“ gab also die Wahlergebnisse von Rosenthal, Reinickendorf-Ost, Reinickendorf-West, Tegel mit Schloß, Tegelort/Konradshöhe, Heiligensee/Schulzendorf, Wittenau, Borsigwalde, Waidmannslust, Lübars, Hermsdorf und Frohnau bekannt. Es fällt auf, dass in Reinickendorf-Ost die linken Kräfte dominierten. Hier bekamen von 28.347 abgegebenen Stimmen die SPD 8776, also knapp 31 Prozent, die KPD 8374 Stimmen, also knapp 30 Prozent, die NSDAP dagegen 7210 Stimmen, also nur gut 25 Prozent. In Frohnau wurden insgesamt 2833 Stimmen abgegeben. Die SPD erreichte mit 433 Stimmen einen Anteil von gut 15 Prozent, die KPD mit 143 Stimmen nur circa fünf Prozent und die NSDAP mit 1249 Stimmen immerhin 44 Prozent.
Unser Nachbarort Hermsdorf wählte nicht ganz so rechtslastig. Hier kam die NSDAP mit 3009 Stimmen trotzdem noch auf gut 40 Prozent. Insgesamt waren 7457 Stimmen abgegeben worden. Von den linken Parteien erhielt die SPD 1668 Stimmen, also gut 22 Prozent, und die KPD 1054, also gut 14 Prozent. Die linkssozialistische SAP erhielt vergleichsweise viele Stimmen, nämlich 16, das sind 0,2 Prozent, während in Frohnau für diese Partei nur drei Stimmen (0,1 %) abgegeben worden waren.
Wenn man sich die Prozentzahlen für die 12 Nord-Berliner Wahlkreise ansieht, so erhielt die NSDAP in Frohnau mit 44 Prozent die meisten Stimmen, danach kommen Hermsdorf mit 40 Prozent und Waidmannslust mit 39 Prozent. Den geringsten Stimmenanteil hatte die NSDAP in den Wahlkreisen Reinickendorf-Ost (25%) und Reinickendorf-West (24%). Anders bei der SPD. Sie war in Frohnau mit 15 Prozent vertreten. Rechnet man die KPD mit fünf Prozent dazu, so kamen die Linken auf 20 Prozent. Das ist immer noch weniger als die SPD allein jeweils in allen anderen Nord-Berliner Wahlkreisen erhielt. In ganz Preußen bekam die NSDAP fast 37 Prozent und die SPD 21 Prozent. In Groß-Berlin wählten 28 Prozent die NSDAP und 29 Prozent die SPD. Die KPD kam in der Stadt auf 24 Prozent.
Bei dem guten Abschneiden der NSDAP in Frohnau fragt man sich, warum sich diese Partei rühmte, in der Gartenstadt in der Anfangszeit große Schwierigkeiten überwunden zu haben, die „weiteste Kreise der Bevölkerung [...] der in Frohnau aufkommenden nationalsozialistischen Bewegung teils aus Unkenntnis ihrer Ziele, teils aber auch aus bewußter innerer Abneigung heraus“ bereiteten (Festschrift 25 Jahre Frohnau). Im Lichte der Wahlergebnisse von 1932 hört sich das nach reiner Propaganda an. Und wenn Max Mechow in seinem Frohnaubuch schreibt, dass die hiesige Ortsgruppe noch 1935 nur 500 Mitglieder hatte, so mutet es bemerkenswert an, dass die NSDAP schon 1932 nicht weniger als 1249 Stimmen erhielt.
Die Wahlen zum Preußischen Landtag von 1932 liefen nicht ohne Zwischenfälle ab. Die „Nord-Berliner Tagespost“ berichtet von blutigen Kämpfen zwischen Nationalsozialisten und Kommunisten in verschiedenen Teilen Preußens, wobei die Nazis meist den Kürzeren zogen. Einige von ihnen fanden den Tod. In Düsseldorf musste ein Pilot notlanden, der mit seinem Flugzeug Wahlpropaganda für die NSDAP hinter sich hergezogen hatte. Laut „Tagespost“ wurde er „von Angehörigen der KPD verprügelt, die daraufhin auch sein Flugzeug in Brand stecken wollten, was jedoch die Polizei verhinderte.“
Nicht lange zuvor, am 19. Januar 1932, war der Frohnauer Kunstmaler, Parteigenosse und SA-Truppführer Ernst Schwartz bei einem Angriff von SA-Männern auf die linksgerichteten Einwohner der Arbeitersiedlung Felseneck (Reinickendorf) erstochen worden. Auch ein Bewohner der Laubenkolonie kam ums Leben. Schwartz war erst im August 1931 von der Ortsgruppe Steglitz nach Frohnau überwiesen worden und wohnte dort in der Burgfrauenstraße. Nach seinem Tod wurde er von der NSDAP als Held verehrt, und der heutige Ludwig-Lesser-Park erhielt seinen Namen (ab 1945 Park der Roten Armee).
Die Wahlen kommentierte die „Nord-Berliner Tagespost“ unter anderem mit folgenden Worten: „Die zunehmende Politisierung des Volkes hält mit der Tendenz, zu den Extremen zu neigen, Schritt. Der Block des Deutschen Bürgertums, einst ein festes Gebilde, das alle Wahlen bestand und das sich höchstens innerhalb bestimmter fester Grenzen veränderte, hat sich aufgelöst.“ Die Zeitung weist auch darauf hin, dass auch der linke Block bröckele und Mitglieder an den rechten Block verliere. Überhaupt sauge die NSDAP aus allen Parteien Mitglieder auf.
Da die NSDAP im Preußischen Landtag 162 von insgesamt 423 Mandaten errang und auf der linken Seite die KPD 57 Sitze, blieben für die anderen Parteien nur 204 Sitze. So konnte ohne die extremen Parteien keine Regierung gebildet werden. Es blieb dem sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Otto Braun nichts weiter übrig, als mit seinem Kabinett geschäftsführend im Amt zu bleiben. Doch dieser Zustand währte nur knapp drei Monate. Am 20. Juli setzte die Reichsregierung unter dem rechtskonservativen Franz von Papen die Regierung Braun ab (beim so genannten „Preußenschlag“). Reichspräsident Paul von Hindenburg ernannte Papen zum Reichkommissar von Preußen.
Am 5. März 1933 gab es noch einmal Neuwahlen in Preußen, wobei erwartungsgemäß die NSDAP und die Kampffront Schwarz-Weiß-Rot, die frühere DNVP, die absolute Mehrheit erhielten. Hitler ernannte Hermann Göring zum Ministerpräsidenten von Preußen. Wie der Reichstag stimmte auch der Preußische Landtag dem Ermächtigungsgesetz am 23. März 1933 zu. Das war die letzte Beschlussfassung des Landtags. Am 31. März 1933 wurde er aufgelöst.
In der Jubiläumsschrift zum 25jährigen Bestehen des Frohnauer Grundbesitzer-Vereins schrieb Richard Hallwachs: „1933. Deutsches Schicksalsjahr. Das Dritte Reich ist Wirklichkeit geworden und unter Adolf Hitlers machtvoller Führung in die Geschichte eingetreten. Eine gewaltige Umwälzung berührt alle Gebiete des Lebens, und am 22. August erfolgt in Anwesenheit des Ortgruppenleiters der NSDAP, Stadtrat Tillmann, im Casino die Gleichschaltung des G.V.“ Gewiss, die Gleichschaltung, also die Aufgabe der politischen Freiheit und der individuellen Persönlichkeit, war nicht auf Frohnau beschränkt. Die Frage ist nur, ob die 44 Prozent der Frohnauer Wähler, die 1932 für die NSDAP stimmten, sich diese Entwicklung wirklich gewünscht haben.