Die Entführung

Zu DDR- bzw. Mauerzeiten war die Lage Frohnaus nicht gerade angenehm. Auf drei Seiten war die Gartenstadt abgeriegelt; nur zwei Straßen führten nach Hermsdorf und eine durch den Wald nach Schulzendorf. Die frühere Hauptverbindung mit Berlin, die Oranienburger Chaussee, war gesperrt. Frohnau war so weit vom Schuss, dass die BZ einen Grenzzwischenfall, der sich in der Nähe des Stolpmünder Weges ereignete, kurzerhand an die „Frohnauer Zonengrenze” verlegte. Auch der Tagesspiegel war da unsicher, als er am 16. März 1962 meldete: „Zollbeamter in die Zone entführt. Grenzzwischenfall in Frohnau. Nach drei Stunden zurückgekehrt”.

Was war geschehen? Am 15. März ereignete sich an der Zonengrenze im Bereich des Zollkommissariats Berlin II-Frohnau ein schwerer Zwischenfall. Der Zollassistent, ein gewisser Hans Scharnow aus der Wahnfriedstraße, war mit Fahrrad und Diensthund Niko auf dem Zollweg von Frohnau zur Ruppiner Chaussee auf Streife, als ihn plötzlich Angehörige der DDR-Grenztruppen anhielten und mit Waffengewalt über die Grenze in die DDR verschleppten. Niko konnte nicht helfen, da sein Herrchen ihm „Platz” befehlen musste, sollte das arme Tier nicht erschossen werden. Der ganze Zwischenfall verlief letzten Endes harmlos; schon etwa dreieinhalb Stunden später wurde Scharnow wieder freigelassen, allerdings nicht am Ort seiner Gefangennahme, sondern an der Grenze zur Spandauer Bürgerablage.

Interessant war die Reaktion der Presse in der aufgeheizten Zeit etwa sieben Monate nach dem Mauerbau. Die „BZ” schrieb am 16. März: „Vopo entführt Zollbeamten. Roter Stoßtrupp stellte ihm in West-Berlin eine Falle”. Die „Berliner Morgenpost” meldete: „Zöllner von Menschenjägern verschleppt und misshandelt.” Unter einem Bild stand: „Merken Sie sich dieses Gesicht. Auch dieser Vopo beteiligte sich an diesem Gangsterstück”. Der damals noch existierende „Kurier” hatte ein ziemlich lange Überschrift: „Die Frechheit Pankows ist kaum noch zu überbieten. Zöllner überfallen und entführt. Bericht nach Bonn unterwegs. ADN lügt unverschämt”. Am 17. März hieß es in der „Berliner Morgenpost”: „Schmalz heißt die Kanaille”, und darunter als Meldung: „Seit gestern wissen wir es: Schmalz heißt die Kanaille. Er ist Vopo-Oberleutnant, Kompaniechef und Anführer jener Räuberbande, die am Donnerstag den Zollbeamten Hans Scharnow überfallen, verschleppt und misshandelt hat.”

Natürlich gab es schärfsten Protest, den der damalige französische Stadtkommandant Toulouse bei seinem sowjetischen Kollegen Oberst Solowjow in Karlshorst einlegte. Laut „Telegraf”, einer damals ebenfalls noch existierenden West-Berliner Zeitung, verlangte Toulouse die Bestrafung der Verantwortlichen. Das gehörte damals zum Ritual. Die Senatskanzlei stellte fest: „Das Verhalten der sowjetzonalen Grepos erfüllt den Tatbestand der Verschleppung in Tateinheit mit Amtsanmaßung und Freiheitsberaubung.” Darauf stehe möglicherweise Zuchthaus.

Die auf den West-Berliner S-Bahnhöfen aushängende SED-Zeitung „Die Wahrheit” drehte den Spieß um, was ebenfalls der Normalfall war. Natürlich sei das Ganze eine planmäßig vorbereitete Provokation des Westens gewesen. Nicht die Grenztruppen hätten den Zollassistenten entführt, sondern der sei im Raum Hennigsdorf – Stolpe-Süd auf dem Gebiet der DDR gestellt und festgenommen worden. Grenzanlagen seien zerstört worden, und Scharnow habe offensichtlich „verbrecherischen Elementen” Vorschub leisten wollen. Das gehe schon daraus hervor, dass die „Frontstadtpresse” sofort Fotos von dem Zwischenfall veröffentlichte. Also wusste sie vorher Bescheid, und also war die ganze Sache ein abgekartetes Spiel.

Bleibt festzuhalten, dass „Die Wahrheit” sicher in einem Punkt Recht hatte, dass sich nämlich der Grenzzwischenfall im Raum Stolpe-Süd abspielte und nicht an der Frohnauer Zonengrenze. Allerdings im Bereich des Frohnauer Zollkommissariats und unter Mitwirkung eines in Frohnau ansässigen Zollassistenten.