Stolpe und sein Flugplatz

In ihren Aufzeichnungen über die unmittelbare Nachkriegszeit hielt eine Zeitzeugin etwas weithin Unbekanntes fest. Es heißt dort: „Auf dem Stolper Feld wird eifrig an einem eigenen Flughafen für Franzosen gearbeitet.” Der Grund sei, dass die Angehörigen der Besatzungsmacht von Paris in zweieinhalb Stunden nach Berlin flogen, dann aber nicht in ihrem Sektor landeten, sondern bei den Amerikanern in Tempelhof. Von dort aus mussten sie per Auto zu ihren Dienststellen gebracht werden, die zum großen Teil in Frohnau la­gen. Grund: „...unser Verkehr klappt noch gar nicht.” Offenbar kam man auch mit dem Auto nur schlecht durch die Innenstadt nach Norden.

Nun, die Tatsache, dass das Stolper Feld nach dem Krieg für einen Flugplatz herhalten sollte, ist ja nichts Neues. Doch dass die Arbeiten an dem geplanten Flugplatz überhaupt begonnen hatten, ist den einschlägigen Chroniken nicht zu entnehmen. In der Stolper Chronik wird stattdessen die Frage gestellt: „Warum wurde, wenn schon 1945 ein Flugplatz gebraucht wurde, dieser bis 1948 nicht längst gebaut? Warum wurde er 1948 dann doch in Tegel errichtet?” Es geht um die Tatsache, dass die Sowjets Stolpe und das Stolper Feld am 10. November 1945 der französischen Besatzungsmacht überließen und sich das Gebiet ein halbes Jahr nach der Währungsreform vom Juni 1948 und dem Beginn der Luftbrücke zurückholten.

Die Arbeiten am Flugplatz Stolpe sind lange vor der Rückkehr der Sowjets eingestellt worden.

Schon 1946 verlor die französische Besatzungsmacht ihr Interesse am Stolper Feld. Vielleicht war es ihr zu uneben oder zu abgelegen. Schließlich lag es unmittelbar an der sowjetischen Besatzungszone. Und so dringend war es ihr anscheinend auch wieder nicht, die Flugzeuge aus Paris in ihrem Besatzungsgebiet landen zu lassen.

Außerdem hatte sie in Tegel ein Gelände entdeckt, das ihr viel geeigneter für den Bau eines Flugplat­zes erschien: den dortigen Schießplatz in der Jungfernheide, ein Gelände, auf dem zunächst preußische Kanonen ausprobiert worden waren und in den dreißiger Jahren die ersten Raketen der Herren Wern­her von Braun und Hermann Oberth. Als durch die Berliner Blockade die Inbetriebnahme eines neuen Landeplatzes dann doch dringend wurde, entstand auf dem im Übrigen auch von den Franzosen zeitweilig ge­nutzten Schießplatz in Rekordzeit der Tegeler Airport.

Dem Schicksal des Dorfes Stolpe widmete das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel” vom 23. Dezember 1948 einen längeren Artikel. Überschrift: „Wir waren ja nur verpumpt”, Zweitüberschrift: „Mehr als Stolpe ging verloren”. In dem Artikel ist davon die Rede, dass die vierhundert Einwohner des Dorfes sich von den Franzosen im Stich gelassen fühlten. „Der Spiegel” zitierte die erbitterten Dorfbewohner mit dem Satz: „Sie haben uns verraten.” Die Stolper hatten nämlich kurz vor der Rückgabe bei der Wahl zur Stadtverordnetenversammlung vom 5. Dezember 1948, an der sie noch teilnehmen durften, bei einer hohen Wahlbeteiligung zu 93 Prozent gegen die Roten gestimmt.

Ob dieser „Verrat” damit zu tun hat, dass die Franzosen am 16. Dezember 1948 die Sendetürme der „Berliner Rundfunks” gesprengt hatten, sei dahingestellt. Dieser Sender stand, obwohl im britischen Sektor gelegen, unter kommunistischer Leitung. Seine Türme störten den Luftbrücken-Flugverkehr auf dem neuen Tegeler Flughafen, und so wurden sie kurzerhand von französischen Pionieren gesprengt – sehr zum Ärger von Marschall Sokolowski, dem Chef der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMA). Den Befehl zur Sprengung hatte General Koenig gegeben, Gouverneur in der französischen Besatzungszone und Oberbefehlshaber der französischen Besatzungstruppen in Deutschland.

Laut „Spiegel” glaubte Koenig, „seinem Kollegen Sokolowski für die gesprengten Türme ein Schmer­zensgeld schuldig zu sein”, und erklärte sich großzügig „mit der Rückgabe des Geländes von Stolpe, das mir seitens dieser Behörden zum Bau eines Flughafens zur Verfügung gestellt wurde, einverstan­den.” Die SMA erklärte dazu – wenig gentlemanlike – dass sie sich genötigt sehe, „das mit den Franzo­sen geschlossene Abkommen über Stolpe als gelöst zu betrachten.” So setzte sie den Franzosen kaltblütig den Stuhl vor die Tür.

Kurz vor Weihnachten, am 21. Dezember 1948, rückte die rote Armee in Stolpe ein. Nur wenige Dorfbewohner waren nach West-Berlin umgesiedelt. Die meisten blieben in ihrem Heimatdorf, obwohl ihnen klar war, was auf sie wartete: „Bodenreform” und Ost-Lebensmittelkarten. Dem Stolper Bürgermeister Albert Wiese hatte der Reinickendorfer Bezirksbürgermeister Adolf Dünnebacke politisches Asyl angeboten, doch auch er verließ nicht das sinkende Schiff. „Der Tagesspiegel” kommentierte wütend: „Votum für die Freiheit missachtet.”

Übrigens kam damals anscheinend niemand auf den Gedanken, nach den Bedürfnissen der Anwohner des geplanten Flugplatzes zu fragen. Fluglärm schien kein Hinderungsgrund für die alliierten Planer zu sein. Doch dieses Problem hat sich ja von selbst erledigt.