Zwei Frohnauer Speisekarten von 1949
Hier sollen zwei Speisekarten vorgestellt werden, beide aus dem Jahr 1949. Eine ist vom 7. März und die andere vom 3. September. Wer sie sich genauer ansieht, wird erstaunliche Unterschiede feststellen, obwohl sie aus ein und demselben Jahr stammen. Das liegt nicht zuletzt daran. dass das Jahr 1949 eins der „historischen” für Deutschland war.
Es war Nachkriegszeit, und es war ein Jahr der Umbrüche. Der Zweite Weltkrieg lag gerade einmal vier Jahre zurück. Deutschland war ein geteiltes und besetztes Land. Im Juni 1948 erhielten die Deutschen neues Geld; für die Bewohner der Westzonen und Westberlins gab es die DM-West und für die Bewohner der Sowjetzone und Ostberlins die DM-Ost. Dass auch die Westberliner die DM-West erhielten, hatte bekanntlich die Blockade und die Luftbrücke zur Folge. Die Blockade endete am 12. Mai 1949 und die Luftbrücke Ende September (Amerikaner) beziehungsweise Anfang Oktober (Briten) des gleichen Jahres. Am 23. Mai 1949 wurde die Bundesrepublik Deutschland gegründet und am 7. Oktober die Deutsche Demokratische Republik.
Aber noch etwas geschah in jenem für Deutschland so bedeutsamen Jahr, und das war am 20. März 1949. Erst jetzt wurde die Westmark in Westberlin gewissermaßen hundertprozentig eingeführt. Heutzutage denken viele Nachgeborene, mit der Währungsreform von 1948 seien klare Verhältnisse geschaffen worden: Westmark für den Westen und Ostmark für den Osten. Doch das galt merkwürdigerweise nicht für Westberlin. Während die Sowjets für ihr Gebiet den Besitz und die Verwendung von Westmark verboten hatten, waren in Westberlin zunächst beide Währungen in Umlauf. Die Westberliner Arbeitnehmer erhielten ihre Entlohnung höchstens zu 25 Prozent in Westmark. Der Rest wurde in Ostmark ausbezahlt!
Dafür zahlte man für viele Dinge mit Ostmark, vor allem für die bewirtschafteten Lebensmittel, also solche, die es auf Karten gab. Doch galt das Gleiche auch für Mieten, Strom, Gas, Fahrgelder, Briefmarken und kommunale Abgaben. Man trug also stets zwei Währungen mit sich. Die Waren in vielen Schaufenstern waren entweder in Ostmark oder in Westmark ausgepreist, je nachdem, ob sie zu den bewirtschaften oder den sogenannten „Luxusgütern” wie Bohnenkaffee, Schokolade, Südfrüchte oder schicke Kleidung und Schuhe gehörten. Auch manche Elektroartikel und Bauteile gehörten zu den „Luxusgütern”.
Doch kommen wir zurück zu den Speisekarten. Die erste stammt von Restaurant „Volksgaststätte und Café am Pilz”. Wie der Name schon sagt, wurden volkstümliche und, was damals sehr wichtig war, markenfreie Gerichte angeboten, zum Beispiel Möhreneintopf oder Bohnensuppe. Für andere Speisen musste man Lebensmittelmarken opfern, zum Beispiel für Fleischklops oder für Kartoffenpuffer mit Zucker. Auffällig ist, dass die Speisen um einiges billiger waren als die Getränke, sieht man einmal von der Brühe und dem Ersatzkaffee ab. Auf die Getränke – außer Bier – wurde sogar noch eine Getränkesteuer von 20 Prozent erhoben. Das Interessanteste aber ist der Hinweis, dass „alle Preise in Ost-Mark” angegeben wurden. Das sollte nicht etwa Ostdeutsche anlocken; es war einfach der Hinweis, dass keine „Luxusgüter” auf der Speisekarte standen.
So etwas war am 3. September 1949 aus den genannten Gründen nicht mehr möglich. Die Speisekarte vom Restaurant „Haus Edelhof” am Edelhofdamm gibt keine Währung an, denn es war klar, dass es sich um die DM-West handelte. Und obwohl die Luftbrücke noch in Betrieb war, ist das Angebot an Speisen sehr viel reichhaltiger als das der Volksgaststätte. Immerhin war die Blockade schon Geschichte, und so konnte man nicht nur gebratenes Huhn, sondern sogar Filetsteak und Schweineschnitzel bestellen. Und alles offenbar ohne Marken.
Wie man sieht, hatte sich in den wenigen Monaten vom 7. März bis zum 3. September 1949 viel getan im Westberlin der Nachkriegszeit. Allerdings billig war das Essen im Restaurant „Haus Edelhof” nicht, auch wenn es auf den ersten Blick so aussieht und man sein Gehalt jetzt zu 100 Prozent in Westwährung erhielt. Denn die Stundenlöhne begannen damals bei 0,59 DM. Hoch qualifizierte Arbeiter bekamen 1,77 DM. Und die Monatsgehälter lagen zwischen 175 und 531 DM. Zumindest wer nach den unteren Lohn- und Gehaltsgruppen bezahlt wurde, drehte den Groschen zweimal um, bevor er ins Restaurant ging.