Julius Berger: Seine Firma machte das Frohnauer Gelände baureif

Als ich am 1. April 2004 den Panamakanal auf einem Containerschiff namens C­onts­hip Auckland durchquerte, erblickte ich am späten Nachmittag Teile einer im Bau befindlichen Brücke. Wie ich vom Kapitän erfuhr, sollte sie die zweite Verbindung der beiden Teile des zentralamerikanischen Staates werden. Zur Zeit meiner Weltreise gab es nur die „Brücke der Amerikas” (Puente de las Américas), die Panama-Stadt mit dem westlichen Teil des Landes verband. Aus dem zweiten Bauwerk wurde die Jahrhundertbrücke (Puente Centenario) als wichtiger Teil der Panamericana beziehungsweise des Pan-American Highways.

An der Baustelle waren große Schilder angebracht, die die Reisenden davon in Kenntnis setzten, dass die ausführende Firma aus Deutschland kam und der Namen „Bilfinger und Berger” trug. Die Schilder waren aus der Ferne nur schlecht erkennbar; deutlich aber war das Firmenlogo, ein weißes „b” auf blauem Hintergrund. Was ich damals noch nicht wusste, war, dass der zweite Name der bei weitem interessantere war. Hinter ihm verbarg sich ein gewisser Julius Berger, dessen Firma bei der Entstehung von Frohnau eine wichtige Rolle spielte.

Julius Berger war eins von fünfzehn Kindern, die sein Vater mit drei Ehefrauen gezeugt hatte. Er kam am 22. September 1862 zur Welt. Vater Baruch schlug sich mit Transportarbeiten mehr schlecht als recht durchs Leben. Er lebte in dem westpreußischen Ort Zempelburg, und sein einziges Geschäftskapital waren ein paar Pferde und die dazugehörigen Wagen. Angesichts der üppigen Kinderschar war für eine gründliche Ausbildung nicht genug Geld vorhanden. Die meisten Kinder wanderten nach Amerika aus, Julius aber blieb im Lande und half seinem Vater bei der anstrengenden Arbeit. Er hatte mit elf Jahren die Zempelburger Stadtschule verlassen und in Berlin eine kaufmännische Lehre angetreten, die er aber abbrach, um in der väterlichen Firma zu arbeiten.

Nach dem Tode des Vaters übernahm Julius Berger dessen bescheidene Hinterlassenschaft, half zunächst beim Bau von Chausseen und Eisenbahnstrecken, beschaffte sich nach und nach einen modernen Maschinenpark und dehnte seinen Wirkungsbereich immer mehr aus, bis sein Bauunternehmen schließlich in ganz Deutschland, in mehreren europäischen Staaten und sogar im Nahen Osten aktiv wurde. 1905 gründete er die Julius Berger Tiefbau-Aktiengesellschaft (JBTAG) mit einem Kapital von 1 Millionen Mark. Hauptsitz der Firma war zunächst Bromberg, doch schon 1908 eröffnete Berger ein Baubüro in der Berliner Rankestraße und zog 1910 endgültig in die Reichshauptstadt um.

In jenen Jahren gelang es ihm, mit der Eisenbahndirektion Berlin ins Geschäft zu kommen. Es ging darum, die Eisenbahnstrecken Berlin – Bernau, Berlin – Frohnau – Oranienburg und Reinickendorf – Tegel viergleisig auszubauen und höher zu legen. Die Planung seitens der Reichsbahndirektion Berlin erwies sich als ungünstig, denn es gelang ihr nicht, die Millionen von Kubikmetern Boden, die für die Höherlegung gebraucht wurden, käuflich zu erwerben.

Jetzt zeigte es sich, dass die Firma JBTAG nicht zufällig so erfolg­reich war, denn ihr Chef ließ sich von Schwierigkeiten nicht ein­schüchtern. Er bot den Eisenbahnern an, die Beschaffung und Anlie­ferung des Bodens zu übernehmen, würde man ihm die ausgeschrie­benen Bauarbeiten übertragen. Damit schlug Berger schließlich alle anderen Firmen aus dem Felde, die allzu lange gezögert hatten, die Bodenbeschaffung mit in ihr Angebot zu nehmen.

Mit der Besorgung des Bodens verband Berger weitere Geschäfte. An der Strecke Berlin – Bernau fand er etwa drei Kilometer von der Station Buch entfernt große Sandberge, die einer Erschließung des dortigen Geländes im Wege standen. Das Gelände gehörte zum Rieselgut Buch, das seinerseits Eigentum der Stadt Berlin war. In seinen Lebenserinnerungen schreibt Berger dazu: „Ich verhandelte sofort mit der zuständigen Stelle beim Magistrat in Berlin, und es kam ein Vertrag zustande, nach welchem ich mich verpflichtete, den Sandboden kostenlos für die Stadt Berlin abzufahren und die hierdurch frei werdenden Flächen zu den vereinbarten Preisen zu adaptieren.” (= baureif zu machen) Damit war der erste Teil des benötigten Bodens für die Höherlegung der Bahngleise also schon beschafft.

Den zweiten Teil fand Julius Berger in Frohnau. Er schreibt dazu, dass er auf dem Gelände der zu errichtenden Villenkolonie große Sandberge vorfand, die der Anlegung von Straßen und baureifen Grundstücken im Wege standen. „Ich schloß mit der Fürst Henkel Donnersmarck’schen Verwaltung einen Vertrag, nach welchem ich die überschüssigen Bodenmengen kostenlos für die Verwaltung abzufahren hatte unter gleichzeitiger Uebernahme der gesamten Erdarbeiten zur Herstellung aller Straßen in Frohnau.” Die Erdarbeiten mussten natürlich von der „Fürst Henkel Donnersmarck’schen Verwaltung” beziehungsweise der Berliner Terrain-Centrale bezahlt werden.

Jetzt hatte Julius Berger die nötigen Bodenmengen zur Verfügung, worauf ihn die Eisenbahndirektion mit dem Ausbau der drei Eisenbahnstrecken beauftragte. Diesen Auftrag führte Bergers Firma in der vereinbarten Zeit von drei Jahren zur vollen Zufriedenheit der Behörde aus, die nun nicht zögerte, der zuverlässigen Firma noch weitere Aufträge im Anschluss an den Ausbau der Strecken zu erteilen.

So hat also ein geschäftstüchtiger Unternehmer durch seinen Einfallsreichtum einen erheblichen Teil zum Entstehen unserer Gartenstadt beigetragen. Seine Firma konnte allen Widrigkeiten der kommenden Kriegs- und Nachkriegszeit widerstehen. Nur dem Naziterror war Berger nicht gewachsen. Hatten sich die Behörden bisher nicht daran gestoßen, dass Julius Berger Jude war, hatten ihn 1914 sogar zum preußischen Kommerzienrat ernannt, so drängten ihn die Nazis 1933 aus seiner Firma und zwangen ihn und seine Frau, ihre große Wohnung in der Meinekestraße zu verlassen und – wie alle Juden – in sogenannte „Judenwohnungen” oder „Judenhäuser” umzuziehen. Auch Hotels oder Pensionen waren denen erlaubt, die es sich leisten konnten. Die Bergers zogen viermal um. Zuletzt wurden sie in der Dahlmannstraße 25 einquartiert.

Dort blieben sie bis zum 14. September 1942. An diesem Tage startete vom „Verladebahnhof” Putlitzstraße der zweite sogenannte Alterstransport der Reichsbahn, der die Bergers und ihre Leidensgenossen in ein Altersheim im Ghetto von Theresienstadt bringen sollte. Ihr „Anrecht” auf einen Platz in diesem Altersheim hatten sie vor dem Abtransport übrigens teuer bezahlen müssen. Das Heim stellte sich als ein völlig überfülltes Konzentrationslager heraus mit katastrophalen hygienischen Verhältnissen und einer völlig unzureichenden Verpflegung. Die greisen Leute konnten dieses Leben nicht lange durchhalten. Sie starben an Hunger und Entkräftung, zunächst die Ehefrau Flora und dann, am 13. Juli 1943, Julius Berger.

Die Firma existierte weiter, und nach mehreren Fusionen mit anderen Großunternehmen entstand aus ihr der anfangs genannte Erbauer der Jahrhundertbrücke, der Konzern Bilfinger-Berger. Im Jahre 2011 wurde Roland Koch, der ehemalige hessische Ministerpräsident, Chef des Konzerns. Etwa ein Jahr später befand der neue Chef nach Auskunft der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 23. März 2012, dass der Doppelname nicht mehr zeitgemäß sei. Schließlich habe man im Laufe der Zeit mehr als 60 Unternehmen übernommen. Damit verschwand der Name des einst so erfolgreichen jüdischen Geschäftsmannes aus dem Konzernnamen.

Mit dieser Darstellung ist der Konzern nicht ganz einverstanden. „Der kürzere – und damit prägnantere – Name bietet die Möglichkeit, ihn den Namen aller operativen Gesellschaften der Unternehmensgruppe voranzustellen und damit die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit deutlich zu erhöhen”, lautet die Stellungnahme des Unternehmens. Und weiter: „Um das Andenken an Julius Berger zu bewahren, hat Bilfinger den Julius-Berger-Preis gestiftet, mit dem künftig unternehmerische Initiativen zur Stadtentwicklung Berlins ausgezeichnet werden sollen.” Anlass war der 150. Geburtstag des jüdischen Bauunternehmers am 22. September 2012. Der Preis wurde gemeinsam mit dem Verein Architekturpreis Berlin e.V. ausgelobt und soll im Jahr 2013 zum ersten Mal vergeben werden.

Wer sich über den Lebenslauf von Julius Berger genauer informieren möchte, der schaue im Internet nach unter http://www.berger-reloaded.de/.