Straße in Reinickendorf trägt den Namen eines Frohnauers

Bevor die Hoeferstraße in Reinickendorf umbenannt wurde, gab es einen ziemlich langen Parteienstreit. Immerhin war man sich darin einig, dass der ehemalige Preußengeneral und spätere SS-Oberführer Karl Hoefer kein würdiger Namensgeber für eine Berliner Straße sein könne. Allerdings kam man erst 1996 zu dieser Einsicht. Vorher hatte man anscheinend keine Ahnung, wer dieser Karl Hoefer war.

Die Meinungsverschiedenheiten währten ungefähr zwei Jahre. Die SPD hatte zunächst Adolf Dünnebacke vorgeschlagen, den zweiten Reinickendorfer Bezirksbürgermeister nach 1945. Dünnebacke war SPD-Mitglied; sein Vorgänger war das KPD-Mitglied Erich Böhm. Später erwärmte sich die SPD für Berta Jacoby, die von dem Reinickendorfer Dirk Thesenvitz vorgeschlagen worden war, einem Mitglied im Vorstand des Vereins „Aktives Museum – Faschismus und Widerstand in Berlin”. Die jüdische Ärztin Dr. med. Berta Jacoby praktizierte im Reinickendorfer Engelmannweg, behandelte auch Widerstandskämpfer, wurde 1934 von der Gestapo abgeholt und über verschiedene Gefängnisse und KZs ins Frauen-KZ Ravensbrück gebracht, wo sie 1942 – wahrscheinlich durch Vergasung – umgebracht wurde.

Auch ein anderer Name war im Gespräch. Zunächst wollte die CDU nämlich einen Mann des 20. Juli 1944 ehren, und zwar den Wehrmachtsoffizier Paul von Hase, doch dann entschied sie sich für Otto Heinrich von der Gablentz, der schließlich das Rennen machte. Am 11. September 1998 – zu seinem 100. Geburtstag – erhielt die ehemalige Hoeferstraße seinen Namen.

Otto Heinrich von der Gablentz war Frohnauer, zumindest 16 Jahre lang. Im Jahre 1935 war er von Steglitz nach Frohnau gezogen, und zwar in den Bieselheider Weg. Von seinen damaligen Nachbarn Fritz Tillmann, Hans Keilhack und Fritz Heyner haben die „Frohnauer Geschichten” bereits berichtet. Vor seinem Umzug nach Frohnau war von de Gablentz aus dem Reichswirtschaftsministerium entlassen worden und musste eine Stelle in der diesem Amt untergeordneten Reichsstelle Chemie antreten.

Trotz der damit verbundenen Gefahr blieb der promovierte Volkswirtschaftler, den der NS-Staat als unzuverlässig eingestuft hatte, politisch tätig. Durch seinen Kollegen Horst von Einsiedel hatte er eine der Führungspersönlichkeiten des Kreisauer Kreises kennengelernt, nämlich Helmuth James Graf von Moltke. Der Kreisauer Kreis, der vom baldigen Zusammenbruch der Hitlerdiktatur ausging, befasste sich mit der gesellschaftlichen Neuordnung Deutschlands. Von 1940 an arbeitete von der Gablentz im inneren Kreis dieser Widerstandsgruppe mit, und zwar als Spezialist für Staats- und Wirtschaftsfragen. Nach dem misslungenen Attentat vom 20. Juli 1944 entging er der Verfolgung durch die Gestapo, denn dank der Verschwiegenheit seiner Freunde blieb sein Name unentdeckt.

Otto Heinrich von der Gablentz war religiös geprägt. Sein Vater war pommerscher Pietist und seine Mutter Calvinistin. So engagierte sich von der Gablentz während des Studiums im Kreis der religiösen Sozialisten um den Theologen und Religionsphilosophen Paul Tillich. Schon früh trat von der Gablentz dafür ein, dass sozialistische Ziele aus dem Geist des Christentums begründet werden müssten. Nach Kriegsende veröffentlichte er eine Schrift mit dem Titel: „Über Marx hinaus: Aufruf für einen christlichen Sozialismus”. In den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts hatte er sich übrigens der Michaelsbruderschaft angeschlossen, einer evangelischen Gemeinschaft von Christen verschiedener Konfessionen, der übrigens auch der Frohnauer Pfarrer Kurt Karzig und der Kantor der Johanneskirche Horst Nordmann angehörten.

Nach dem Kriege arbeitete Otto Heinrich von der Gablentz als Publizist und war Mitglied der Rates der Evangelischen Kirche, einer Art Leitungsgremium der Evangelischen Kirche in Deutschland. In seine Frohnauer Zeit fiel noch eine Reihe weiterer politischer Tätigkeiten. Als bald nach Kriegsende die sowjetische Besatzungsmacht sogenannte antifaschistische Parteien zuließ, darunter die Christlich Demokratische Union Deutschlands (CDUD), schloss sich von der Gablentz ihr an und wurde enger Mitarbeiter Jakob Kaisers, der seit Ende 1945 Erster Vorsitzender dieser Partei war. Von der Gablentz übernahm den Posten eines Vorsitzenden des wirtschaftspolitischen Ausschusses der CDUD. Nach der Spaltung der Stadtverordnetenversammlung und damit der Stadt Berlin im Jahre 1948 entstanden ein östlicher und ein westlicher Landesverband der Christdemokraten. Auch bei der Gründung des letzteren wirkte von der Gablentz mit.

Im gleichen Jahre erhielt er einen Lehrauftrag an der ebenfalls 1948 neu gegründeten Hochschule für Politik, was 1951 dazu führte, dass er seinen Wohnsitz von Frohnau nach Dahlem in die Habelschwerdter Allee verlegte. Von 1953 bis 1966 lehrte er an der Freien Universität als Professor für Politikwissenschaft. Nach seiner Emeritierung hatte er Gastprofessuren in den USA und in Australien. Er starb er am 27. April 1972 in seinem Hause in der Habelschwerdter Allee, jedenfalls wenn man dem Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf Glauben schenkt. Das hat nämlich an dem Haus zu seinem 100. Geburtstag am 11. 9. 1998 eine „Berliner Gedenktafel” angebracht, deren Text folgendermaßen beginnt: „In diesem Hause lebte von 1951 bis zu seinem Tode Otto Heinrich von der Gablentz”.

Andere Quellen, wie zum Beispiel die „Berliner Zeitung” vom 24. 5 1997 und die wissenschaftliche Veröffentlichung „Dahlemer Erinnerungsorte” (Verlag Frank & Timme, Berlin 2007, Seite 120), sprechen von Frohnau als seinem Sterbeort. „Der Spiegel” vom 23. 5. 1951 verlegt sogar die Hochschule für Politik nach Frohnau, aber das war offensichtlich ein Irrtum. Fest steht aber, dass von der Gablentz wichtige Jahre seines Lebens in Frohnau verbracht hat.

Eine Kuriosität noch zum Schluss: Wie anfangs erwähnt, war es die CDU, die sich mit der Namensgebung „Von-der-Gablentz-Straße” durchsetzte. War das nun Großherzigkeit oder ein Versehen? Jedenfalls ist der Namensgeber schon 1965 aus der CDU ausgetreten. Er warf der Partei einen Mangel an Reformbereitschaft und die Blockade der Ostpolitik vor.