Hermann Luchterhand Verlag: Delle im Renommee

Am 1. September 1946 erschien im Hermann Luchterhand Verlag die Ergänzungslieferung Nr. 1 zum „Handbuch für das Lohnbüro”. Damals hatte der Verlag seinen Sitz in Frohnau, und zwar im Fisch­grund 22. Sein Inhaber hatte gerade von der französischen Militärregierung die Lizenz zum Wieder­aufbau des Verlags erhalten. Doch der Frohnauer Firmensitz war nur ein Nachkriegsprovisorium; schon zwei Jahre später wurde er nach Neuwied in die französische Zone verlegt.

Hermann Luchterhand (1886-1950) war gelernter Steuerberater. Sein 1924 gegründeter Verlag war zunächst in einem Berliner Hinterzimmer untergebracht und seine Produktion beschränkte sich auf Lohnsteuertabellen, juristische Literatur, Formblätter und andere Vordrucke. Der Eintrag im Berliner Adressbuch lautete: „Luchterhand, Hermann, Organisat. u. Steuerbüro, N 24, Oranienburger Str. 48.49.” Im Jahre 1933 heißt es dann „Steuerverlag”. Und 1934 steht im Adressbuch „Verlag f. Steuer- und Arbeitsrecht.” Schließlich, im Jahre 1935, lautet der Eintrag: „Hermann Luchterhand Verlag f. Steuer- u. Arbeitsrecht”. Und zusätzlich zur der Adresse in Berlin-Mitte ist eine Frohnauer Adresse angegeben: Im Fischgrund 7. (Daraus wurde nach der Neunummerierung die Hausnummer 22.) 1937 zog das Verlagshaus von Mitte nach Charlottenburg.

Herrmann Luchterhand wohnte schon im Fischgrund, als er sich 1936 aus dem aktiven Verlagsge­schäft zurückzog. Er habe gesundheitliche Gründe gehabt und die politischen Verhältnisse als be­drüc­kend empfunden, heißt es. Die Verlagsleitung übernahm Eduard Reifferscheid, der seit 1934 Luchter­hands Teilhaber war. Unter Reifferscheids Führung nahm der Verlag nach dem Zweiten Weltkrieg einen bemerkenswerten Aufschwung.

Dieser Aufschwung wird noch verstärkt, als die Verlagsleitung 1954 beschließt, das Angebot des bisherigen Fachverlags für Steuerrecht um literarische Veröffentlichungen zu erweitern. Als im Jahre 1959 „Die Blechtrommel” von Günter Grass bei Luchterhand erscheint, erlangt der Verlag sogar internationales Renommee.

Inzwischen hat der Hermann Luchterhand Verlag mehrfach den Besitzer und den Firmensitz gewech­selt. Der Fachverlag existiert weiter unter dem Dach des niederländischen Wissenschafts- und Infor­mationsdienstleisters Wolters Kluwer und veröffentlicht noch heute Literatur zu fast jedem Rechtsge­biet. Der Luchterhand Literaturverlag gehört zur Verlagsgruppe Random House und ist in München beheimatet. Er verlegt Werke von so bekannten Schriftstellern wie Carl Amery, Ernst Jandl, Pablo Neruda und Christa Wolf.

Vor kurzem erhielt der gute Ruf des traditionsreichen Verlags jedoch eine Delle. Hatte sich der Luch­terhand Verlag lange Zeit zugute gehalten, dass er dem NS-Staat kritisch gegenüber gestanden habe, so ergab eine Recherche des Autors Philipp Gessler, dass es mit der kritischen Distanz nicht sehr weit her war. In einem längeren Artikel für die taz (Tageszeitung) vom 11. August 2012 schrieb Gessler über den Buchhändlerkeller, dass es in ihm eine sehr düstere Ecke gebe. „Es ist die bis heute uner­zählte Geschichte des langjährigen Luchterhand-Verlagschefs Eduard Reifferscheid, der den Drucke­reibesi­tzer Otto Heinrich Scholz in der NS-Zeit eiskalt überlistete – und so den Aufstieg Luchterhands erst möglich machte.”

Scholz, der eine gut gehende Buchdruckerei besaß, wurde von den Nazis verfolgt, obwohl er so ge­nannter Arier war. Doch er lebte seit 1927 zusammen mit Meta Müller, einer Jüdin. Mit den Nürnber­ger Gesetzen von 1935 galt dieses Zusammenleben als Rassenschande. In der Julius Streichers antise­mitischem Hetzblatt „Der Stürmer” wurde Scholz als Judenknecht diffamiert, wiederholt von der Gestapo verhört, und schließlich in der Reichspogromnacht vom 9. November 1938 vorübergehend festgenommen.

Auch Meta Müller wird von der Gestapo abgeholt und misshandelt, kann aber dann doch nach Eng­land fliehen. Scholz will ihr folgen, vorher aber seinen Berliner Betrieb verkaufen. Da ihm das nicht gelingt, nimmt er Heinz Luchterhand, den Sohn des Firmengründers, 1939 als Gesellschafter in seinen Betrieb auf. Für den gesamten Maschinenbestand soll Luchterhand ganze 160.000 Reichsmark an Otto Scholz zahlen. Sie werden auf ein Konto überwiesen, an das Scholz aber nicht mehr herankommt, da er im Juni 1939 seiner Partnerin nach England gefolgt ist. 1941 schließlich wird er ausgebürgert und sein Vermögen von etwa 250.000 Reichsmark vom NS-Staat eingezogen. Die genauen Angaben über die Vermögensverhältnisse des ehemaligen Druckereibesitzers soll die Gestapo von Heinz Luchter­hand erfahren haben.

Nach Philipp Gesslers Aussage intrigierten Luchterhand und Reifferscheid fleißig gegen Scholz und erreichten es schließlich, dass Scholz durch Gerichtsentscheid aus dem Betrieb ausgeschlossen und Heinz Luchterhand alleinverantwortlich wurde. Allerdings musste er die ehemaligen Unternehmensanteile von Scholz, die durch die Enteignung dem NS-Staat ge­hörten, diesem wieder abkaufen. Übrigens wurde die Druckerei, die weiterhin Scholz-Druck hieß, 1944 durch Bomben zerstört. Da sie aber inzwischen als rein arisch galt, erhielt Luchterhand für den Betrieb eine Bombenentschädigung.

Im April 1948 strengte Meta Scholz geb. Müller von England aus beim Landgericht Berlin einen Prozess gegen die Herren Hermann und Heinz Luchterhand sowie Eduard Reifferscheidt an. Grund: Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Meta Scholz beschuldigte die genannten Herren, bei der Gestapo gegen sie und ihren Mann intrigiert, die Firma Scholz-Druck unrechtmäßig an sich gebracht und aus ihr einen „nationalsozialistischen Musterbetrieb” gemacht zu haben. Auch habe eine Zeugin ihr mitgeteilt, Hermann Luchterhand sei Mitglied der NSDAP gewesen.

Doch das Verfahren wurde eingestellt. In einem Schreiben des Gerichts an die Beschwerdeführerin vom 19. August 1949 heißt es zur Begründung, dass die Beschuldigten die Vorwürfe bestritten und die Ermittlungen nicht ergeben hätten, dass die Verhaftung durch die Gestapo auf Betreiben der Beschuldigten erfolgt sei. Abschließend heißt es in dem Bescheid: „Dass die Beschuldigten möglicherweise aus der Rassegesetzgebung der Nazis Kapital geschlagen haben, rechtfertigt noch keine Anklageerhebung wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit.” Im Übrigen lagen der Gerichtsakte mehrere Erklärungen von ehemaligen Betriebsangehörigen bei, dass die Vorwürfe hinsichtlich der Parteizugehörigkeit Luchterhands und der Umgestaltung der Firma in einen nationalsozialistischen Musterbetrieb nicht den Tatsachen entsprächen.

Wie dem auch sei, insgesamt hat Luchterhand mit der Über­nahme der Scholzschen Druckerei ein gutes Geschäft gemacht. Als die deutsche Wirtschaft nur wenige Jahre nach Kriegsende wieder in Schwung kam, ging es mit dem Luchterhand Verlag ständig aufwärts. Merkwürdigerweise gelang es Reifferscheid und Luchterhand, dem Verlag einen linkslibe­ralen Ruf zu geben. Der Buchwissenschaftler Ingmar Weber schrieb dazu, der Luchterhand Verlag habe das Image „eines progressiven, linken, der aufklärerischen Literatur verpflichteten Verlages” gehabt. Immerhin veröffentlichte er nicht nur Werke von Günter Grass, sondern auch zum Beispiel von der jüdischen Schriftstellerin Anna Seghers.

Nach dem Erscheinen des taz-Artikels von Philipp Gessler erklärte der Luchterhand, von der dunklen Vergangenheit des Verlags nichts gewusst zu haben. Georg Reuchlein, Verleger und Mitglied der Geschäftsleitung, schrieb der taz unter anderem: „Wir legen auf jeden Fall größten Wert auf die lü­cken­lose Erforschung und Aufarbeitung der Geschichte des Luchterhand Verlags, dies gilt insbeson­dere und ausdrücklich auch für die Epoche der NS-Zeit.”