Die Lessers im Haus der Preußisch-Brandenburgischen Geschichte
Manche Frohnauer werden es bemerkt haben. Vom 12. März bis zum 3. Juni 2012 Jahres gab es im Potsdamer „Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte” eine bemerkenswerte Ausstellung. Nein, sie hatte nichts mit dem 300. Geburtstag Friedrichs II. zu tun. Wohl aber – wenigstens zum Teil – mit einem Mann, der in Frohnau deutliche Spuren hinterlassen hat. Ihr Titel lautete: „Das Jahr 1812. Ein Meilenstein auf dem Weg zur Gleichstellung der Juden in Preußen. Vom Schutzjuden Levin zum Staatsbürger Lesser”.
Übrigens: Wer die Ausstellung zum 200. Jahrestag des Emanzipationsedikts nach Ablauf der Potsdamer Frist besuchen wollte, konnte sich auf den Weg nach Rathenow machen. Dort war sie bis zum 29. Juli im Kulturzentrum Rathenow zu sehen. Danach wanderte sie ins Schloss Freienwalde und schließlich in die Moses-Mendelssohn-Akademie in Halberstadt. Schließlich gab es besonders für die Berliner noch eine Alternative. Vom 4. Oktober bis zum 4. November wurde sie in den Räumen der Ostdeutschen Sparkassenstiftung in der Leipziger Straße 51 in Mitte gezeigt.
Die Ausstellung wurde vom Kulturzentrum Rathenow und vom Moses-Mendelssohn-Zentrum der Universität Potsdam vorbereitet. An leitender Stelle waren daran die Historikerinnen Bettina Götze (Rathenow) und Irene Diekmann (Potsdam) beteiligt, die auch den Begleitband zur Ausstellung verfassten (Verlag für Berlin-Brandenburg 2012). Aber noch jemand hat am Zustandekommen der Ausstellung mitgewirkt, und zwar an entscheidender Stelle: Richard Lesser.
Richard Lesser mag in Frohnau weniger bekannt sein als sein Großvater Ludwig Lesser. Über Ludwig Lesser ist viel geschrieben worden, nicht zuletzt von seiner Urenkelin Katrin Lesser (Tochter von Richard Lesser) in dem Jubiläumsbuch „100 Jahre Gartenstadt Frohnau”. Auch über Hans Lesser, den Halbbruder Ludwigs, wird in dem Jubiläumsbuch berichtet. Er spielte in der Evangelischen Gemeinde Frohnau als Leiter eines Bibelkreises und Mitglied der Gemeindevertretung eine wichtige Rolle.
Was nun den Namen Richard Lesser anlangt – er taucht im Stammbaum der Familie gleich dreimal auf. Die Rede ist hier vom 1929 geborenen Enkel Ludwig Lessers, der für den Artikel der „Gartenstadt” Fotos und Informationen lieferte. Im Vorwort des erwähnten Begleitbuches zur Ausstellung wird erwähnt, dass Richard Lesser eine umfangreiche Familienchronik verfasste. Aber nicht nur das. Im Besitz seiner Familie gibt es zahlreiche Dokumente, handschriftliche und gedruckte Texte und auch Bilder.
So konnten sich die Historikerinnen, die Richard Lesser in Karlsruhe aufsuchten, einer jüdischen Familie des Mittelstandes widmen, die anders als die Mendelssohns, Itzigs, Meyerbeers, Liebermanns und Gans’ bisher nur wenig erforscht war. Die Lessersche Familiengeschichte beginnt in Rathenow mit dem Schutzbrief des Kurfürsten Friedrichs III., der den Brüdern Isaac, Jacob und Marcus Levin im Jahre 1691 gestattete, sich in der havelländischen Stadt anzusiedeln.
Der nächste Schritt der Familie auf dem Wege zur Gleichstellung geschah am 5. Dezember 1812, als Jacob Levin (1762-1819) am 5. Dezember 1812 einen von der Königlichen Kurmärkischen Regierung ausgestellten Bürgerbrief erhielt, in dem es hieß: „Nachdem der Inhaber dieses der bisherige Schutzjude Jacob Levin zu Rathenow vor der Polizei-Obrigkeit seines Wohnortes erkläret hat, daß er den Namen Lesser als Familien-Namen angenommen hat und ferner führen will, so wird in Gemäßheit des § 4 der Verordnung vom 11. März 1812 hierdurch bezeuget, daß der Jacob Lesser und seine Nachkommen als Königliche Preußische Einländer und Staatsbürger angenommen und überall zu achten sind.”
Die Annahme eines festen Familiennamens gehörte zu den Bedingungen, die in dem vom preußischen König erlassenen „Edikt betreffend die bürgerlichen Verhältnisse der Juden im Preußischen Staate” festgelegt worden waren. In der Ausstellung war eine „Beilage zum 40sten Stück des Amtsblatts der Königl. Kurmärkischen Regierung” zu sehen, in der die Juden, die einen Staatsbürgerbrief erhalten hatten, mit ihren alten und den neuen Namen aufgeführt sind. Unter der laufenden Nummer 2424 findet sich Jacob Levin beziehungsweise Lesser.
Wieder machen wir bei der Betrachtung der Ausstellung einen Zeitsprung und werfen einen kurzen Blick auf Richard Lesser (1839-1914), den Enkel Jacob Lessers. Er war Verlagsbuchhändler, wurde Freimaurer und trat im Jahre 1884 mit seiner Familie zum Protestantismus über. Die eingangs erwähnten Historikerinnen vermuten, dass ihm dieser Schritt nicht leicht gefallen ist. In einem Brief an seine Mutter vom 25. Dezember 1885 begründet er seinen Übertritt nicht zuletzt damit, dass der Judenhass wieder aufgeflammt sei: „Am tiefsten musste dieser Rückfall in das finstere Mittelalter die aufgeklärten Juden bekümmern, die sich im Herzen, Denken und Streben längst eins wussten mit ihren christlichen Landsleuten.” Er meinte, als Christ werde es ihm leichter fallen, „die antisemitische Vergiftung der christlichen Volkstums” zu bekämpfen.
Und nun zu seinem Sohn Ludwig (1869-1957), dem in Frohnau am besten bekannten Mitglied der Familie Lesser. Sein Leben und sein Wirken in Frohnau braucht hier aus den oben genannten Gründen nicht erneut beschrieben zu werden. Ein großer Teil der Ausstellung war ihm gewidmet, wobei seine Arbeit in Frohnau etwas kurz kam. Mehr Aufmerksamkeit erhielten seine Reformbestrebungen und seine publizistische Tätigkeit. Besonders bekannt ist sein 1920 geschriebenes Gedicht „Gebt Gärten!” Ihn bekümmerten die schlechten Wohnverhältnisse in der rasant wachsenden Hauptstadt, unter denen besonders die Kinder zu leiden hatten. So lautet die 2. Strophe seines Gedichtes:
„Kinder sollen dort wachsen, gedeih'n
wo spüren sie der Sonne Schein?
Sie verkümmern, verdorren mit traurigem Blick
Denkt an Eure Kindheit zurück!
Laßt auch die Großstadtkinder in Gärten springen,
laßt sie dort fröhlich sein, laßt sie dort singen.
Gebt ihnen Gärten!”
Publizistisch war er unter anderem als Ratgeber für die Pflege von Gärten tätig, sei es in schriftlicher, sei es in mündlicher Form. Vielleicht nicht so bekannt ist die Tatsache, dass Ludwig Lesser zu den Rundfunkpionieren gehörte. Zunächst war er bei der „Berliner Funkstunde AG” als Spezialist und Fachmann tätig, ab 1925 dann auch als Sprecher. Er wurde dadurch populär, dass er nicht dozierte, sondern plauderte, teils allein, teils mit einer „Gartenfreundin”, die übrigens seine Schwiegertochter Margarete Lesser geb. Pieper war.
Am Ende des Rundgangs durch die Ausstellung im Dachgeschoss des „Hauses der Preußisch-Brandenburgischen Geschichte” gab es ein den Frohnauern gut bekanntes Exponat zu sehen, nämlich ein restauriertes hölzernes Schild, das einst in Frohnau den Eingang zum Ludwig-Lesser-Park zierte. Heute gibt es nur noch ein weniger gepflegtes Exemplar an einem weiter östlich gelegenen Parkweg. Könnte man das nicht auch einmal restaurieren? Eigentlich sind wir das dem Gestalter der Gartenstadt Frohnau doch schuldig.
Nachtrag: Unterdessen ist das Schild restauriert.