Das Capitol
Nein, hier ist nicht vom amerikanischen Parlament die Rede, sondern vom Frohnauer Kino längst vergangener Zeiten. Wir Frohnauer sprachen einfach vom „Kino", dabei nannte es sich stolz „Filmtheater" beziehungsweise „Erstaufführungstheater". Das bedeutete, dass die Filme, sobald die Uraufführungstheater sie freigaben, sofort in unser Kino kamen.
Das Programm wechselte zweimal die Woche; einmal am Dienstag und einmal am Freitag. Dann kam ein Lieferwagen auf den Vorplatz des Filmtheaters gefahren, und zwei Arbeiter tauschten die großen Leinwandplakate rechts und links von den Eingängen aus. Eins dieser Plakate zeigte den laufenden Film an und das andere den unmittelbar darauf folgenden. Unter den großen Plakaten waren Fenster, in denen sich die Kinogänger ein kleineres Plakat mit den Darstellern und Szenenfotos aus den angezeigten Filmen ansehen konnten.
Das linke Plakat ist auf unserem Foto leider kaum zu erkennen, aber das rechte zeigt den Titel und den Star des Films ziemlich deutlich. Es war Clark Gable, der in dem Film „Ein toller Bursche" die Hauptrolle spielte. Diese Westernkomödie wurde 1941 gedreht und handelte von einem Glücksritter und Draufgänger, dem schlitzohrigen Spieler „Candy" Johnson. Der Originaltitel ist „Honky Tonk", was im amerikanischen Slang soviel wie Spelunke bedeutet. Gleichzeitig ist es eine Form von Country-Musik, wie sie in entsprechenden Szenekneipen gespielt wird. Der deutsche Titel ist eher nichtssagend.
Das „Capitol" war im Allgemeinen gut besucht. Etwa eine Stunde vor der Kassenöffnung um 14 Uhr stellten sich bereits die ersten potenziellen Kinogänger an. Bis dann die Türen geöffnet wurden, hatte die Schlange bereits eine beträchtliche Länge erreicht, so dass man eine Stunde und länger warten musste, bevor man am Schalter war. Das konnte bedeuten, dass man letzten Ende leer ausging. Manchmal bekam man gerade noch einen der Notsitze. Das waren herunter klappbare Holzsitze links und rechts der Sitzreihen. Wenn die zu weit vorn waren, musste man seinen Hals verdrehen, wodurch sich der Kinobesuch nicht gerade als ein Genuss erwies. Gemein fanden wir es, dass mit der Zeit immer mehr stolze Besitzer von Telefonen bei der Kasse anriefen und uns die besseren Karten vor der Nase wegschnappten – und das, ohne sich der Mühe des Anstellens zu unterziehen.
Übrigens war das „Capitol" nicht nur ein Kino beziehungsweise ein Erstaufführungstheater. Da es über eine große Bühne verfügte, wurde es auch für politische und kulturelle Veranstaltungen genutzt. Hier wurden politische Reden geschwungen, zum Beispiel am 27. März 1940 vom Pg. Karl Wesch zum Thema „Warum wie diesen Krieg gewinnen". Hier gab es Ballett- und Operettenvorstellungen und einmal die Rias-Sendung „Mach mit" mit Ivo Veit. Hier konnten aber auch Kleinkünstler auftreten und uns Schulkindern ihre Zaubertricks zeigen.
Mit der Verbreitung des Fernsehens, häufig „Pantoffelkino" genannt, ging der Besuch der Kinos und natürlich auch des Frohnauer „Capitols" mehr und mehr zurück. Da nützte auch nicht der Umbau der Bühne in eine Cinemascope-Großleinwand. Im Jahre 1965 schloss es seine Türen für immer. Zunächst zog ein Supermarkt ein, und im Jahre 1979 wurde das alte Kinogebäude abgerissen und durch ein Geschäftshaus mit Tiefgarage ersetzt. Auch die „Stadtrandlichtspiele" in der Invalidensiedlung mussten schließen. Allerdings blieb ihr Domizil unversehrt, denn die drei K's, Kneipe, Kino und Kirche, waren alle im noch heute existierenden Gemeinschaftshaus der Siedlung untergebracht.
Zur Blütezeit des Kinos gehörten sicher die fünfziger Jahre, als der deutsche Film noch nicht in der Krise steckte. Damals entstanden so bemerkenswerte Filme wie „Der Untertan", „Rosen für den Staatsanwalt", „Die Zürcher Verlobung", „Hunde, wollt ihr ewig leben", und „Buddenbrooks". In der zweiten Woche des Januar 1958 zeigte das „Capitol" „Alle Wege führen heim", einen Schicksalsfilm mit Luise Ullrich, „Frauenarzt Dr. Bertram" mit Willy Birgel in der Titelrolle, und in der Sonnabend-Spätvorstellung (22.30 Uhr) den italienischen Gangsterfilm „Mann im Zwielicht". Für die Kindervorstellung (sonntags 13.30 Uhr) war der Film „Pat und Patachon als Mädchenräuber" ausgesucht worden. Ein Jahr später, in der zweiten Januarwoche des Jahres 1959, gab es im „Capitol" die großartigen Filme „Der eiserne Gustav" (Regie Georg Hurdalek), „Wir Wunderkinder" (Kurt Hoffmann), „ O Cangaceiro" (Lima Barreto) und „La Strada" (Federico Fellini).
Nun ist es nicht so, dass man der guten alten Zeit nachtrauern müsste. Zwar ist unserer Gartenstadt eine bedeutende Kulturstätte verloren gegangen, aber gute Filme kann man, so man sie sich nicht aus dem laufenden Fernsehprogramm oder mit Hilfe des eigenen Abspielgeräts zu Hause ansieht, auch noch heute im Kreise von Gleichgesinnten genießen, und zwar in unserem Kulturhaus Centre Bagatelle. Solche Zusammenkünfte von Cineasten gab es ja auch schon zu der Zeit, als die Franzosen noch die Herren des „Centre" waren. So wurde am 8. April 1959 die Komödie „Edouard et Caroline" vorgeführt, zwar in französischer Sprache, aber nicht ohne deutsche Einleitung. Ansonsten gab es im „Centre Bagatelle" immer wieder Kulturfilme, zum Beispiel am 3. Juni 1959 unter der Überschrift „Seh'n Sie, das ist Berlin".
Doch ein bisschen Wehmut werden ältere Frohnauer wohl empfinden, wenn sie an ihr „Capitol" denken mit seinen mit rotem Samt bezogenen weichen Sitzen und seiner doch recht vornehmen Atmosphäre. Die hatte es zumindest, als die Zeiten vorbei waren, wo die Zuschauer vor dem Beginn der Vorstellungen ermahnt wurden, die Samtbezüge doch, bitte schön, an ihrem Platz zu lassen.