Das rätselhafte Grab

Wenn sich der Preußenprinz Georg Friedrich und Prinzessin Sophie Johanna Maria von Isenburg am 27. August 2011 in Potsdam das Jawort geben, so hat das auch ein kleines bisschen mit Frohnau zu tun. Aufmerksame Besucher des Friedhofs an der Hainbuchenstraße werden in der Abteilung IV, Reihe 13 die Grabstellen 3 bis 5 kennen, wo unter einem steinernen Kreuz mit Kruzifix eine Grabplatte liegt mit der Aufschrift: Victor Salvator Prinz von Isenburg, 1872-1946. Wie die Potsdamer Neuesten Nachrichten am 7. Mai 2011 schrieben, gehören die Isenburgs „zum Adel vom Feinsten". Weiter ließen die PNN ihre Leser wissen: „In der langen Familienchronik finden sich Erzbischöfe, Kurfürsten und Reichskanzler."

Nun, vielleicht waren sie nicht alle vom Feinsten. Prinzessin Sophies Großonkel, Ferdinand Karl Prinz von Isenburg (1906-1968), machte seinem Namen durchaus keine Ehre. Am 2. Mai 1951 schrieb DER SPIEGEL: „Ferdinand Karl, Prinz von Isenburg-Birstein, 45, muß für eineinhalb Jahre ins Gefängnis, weil er dreimal des Diebstahls und fünfzehnmal des Betrugs für schuldig befunden wurde." Dahinter steckte des Prinzen Rauschgiftsucht, die ihn zum Dieb und Betrüger werden ließ. Zeitweise war der Prinz sogar entmündigt. Außerdem verbrachte er ein halbes Jahr in einer Heilanstalt. Seine Schulden bezifferte Ferdinand Karl auf rund 70 000 Mark.

Während der NS-Zeit wohnte der gestrauchelte Prinz in Berlin-Wilmersdorf. Als Beruf verzeichnete das Berliner Adressbuch: Makler. Aber das war nicht seine einzige Beschäftigung. Wie die Historikerin Christine Wittrock in ihrem Buch „Kaisertreu und führergläubig. Der Altkreis Gelnhausen 1918 – 1950" (Hanau 2006) schreibt, war Ferdinand Karl „bereits in den zwanziger Jahren in München die faschistische Karriereleiter emporgestiegen." Er habe es bis zum SA-Standartenführer und zum SA-Adjutanten des Ritters von Epp gebracht, der 1933 Hitlers Statthalter in Bayern wurde. Auch Ferdinand Karls älterer Bruder, Franz Ferdinand (1901-1956), der Großvater von Prinzessin Sophie, machte laut Wittrock 1934 „seinen Kotau vor dem NS-Regime".

Und wer war nun der auf dem Frohnauer Grabstein genannte Victor Salvator? Es war der Onkel des Maklers. Ebenso wie sein Neffe wohnte er in Berlin, und zwar in Charlottenburg. Als Beruf gibt das Berliner Adressbuch „Eigentümer" an – was immer das gewesen sein mag. Mit vollem Namen hieß der in Frohnau bestattete Adlige Victor Salvator Karl Maria Leopold Anton Aloys Josef Rainer Jo­hannes Kasimir Prinz von Isenburg. Geboren wurde er 1872 in Offenbach, und zwar an einem 29. Februar. Gestorben ist er am 4. Februar 1946 in Berlin im Alter von 73 Jahren.

Offenbar war Prinz Victor nicht ausschließlich Eigentümer. Die Mitglieder-Datenbank der Heidelberger Akademie der Wissenschaften führt ihn als Generaldirektor der Skoda-Werke in Wien 1918/19 auf. Im Übrigen war der Prinz Ehrenmitglied der Akademie. In Wien bauten die Skoda-Werke allerlei Waffen, darunter Kanonen und Feldgeschütze. Überhaupt hatte sich das ehemalige Pilsener Maschinenbau-Unternehmen Skoda auf Rüstungstechnik spezialisiert und war zum größten Waffenlieferanten der K.u.K.- Monarchie geworden. Im Verlauf des 2. Weltkriegs wurden die Skoda-Werke von den „Reichswerken Hermann Göring" vereinnahmt. 1942 entstand die Holdinggesellschaft Waffen-Union Škoda-Brünn mit Sitz in Berlin.

Es ist anzunehmen, dass der „Eigentümer" Victor Salvator auch nach seiner Wiener Tätigkeit mit Waffen und mit Skoda zu tun hatte. Jedenfalls gibt es einen kanadischen Journalisten namens Lukin Johnston, der ein paar Sätze über den Prinzen geschrieben hat, und in denen spielen Waffen eine Rolle. Lukin Johnston sei ein Journalist von internationalem Format gewesen, liest man in der Zeitschrift The Citizen (Tom W. Paterson, 1. April 2011). Er sei bekannt dafür gewesen, dass er unbedingt Hitler interviewen wollte, was ihm im November 1933 auch gelang. Nur einige Tage danach ging die Meldung durch die Presse, er sei auf der Überfahrt nach England irgendwo zwischen Hoek van Holland und Harwich verschwunden („lost at sea"). Sein Tod blieb bis heute ein Rätsel.

Auch schon vor dem Hitler-Interview war es Johnston gelungen, Menschen von Einfluss (persons of influence) zu einem direkten Gespräch zu bewegen. Als er auf dem Wege von Kanada zur Konferenz von Lausanne (16. Juni bis 9. Juli 1932) war, auf der die deutsche Regierung unter Franz von Papen Engländer und Franzosen dazu gebracht hatte, die vom Versailler Vertrag auferlegten Reparationen zu beenden, gelang es dem rührigen kanadischen Journalisten, den Prinzen von Isenburg zu interviewen. Arrangiert hatte das Treffen der mit Lukin befreundete Deutsch-Kanadier Robert Henry Graf Keyserlingk. Es fand in Berlin statt und ließ den kanadischen Journalisten ziemlich schockiert zurück.

Dieser Begegnung widmete die kanadische Journalistin Frances Welwood eine kurze Passage in ihrem Artikel „Lukin Johnston of „The Province" (British Columbia History, Summer 2010, Vol. 43 No. 2). Zur Zeit des Interviews war „His Highness Victor Salvator Isenburg" Sondervertreter der tschechischen Skoda-Rüstungsfabriken. Er behandelte den kanadischen Journalisten ziemlich von oben herab und riet ihm, die hochrangigen Abrüstungsgespräche von 1932 als „Laienspiel" zu betrachten. „Wir (= die Skoda-Rüstungsfa­bri­ken) sind heute nicht an Abrüstung, sondern an Aufrüstung interessiert." Er beschied den Kanadier, der Schlüssel zum Wohlstand sei die Wiederaufrüstung Deutschlands, und er fügte hinzu: „Wir beliefern beide Seiten." Frances Welwood nennt das Interview „a shocking lesson in cynicism and duplicity" (eine schockierende Lektion in Zynismus und Doppelzüngigkeit).

Kehren wir zum Friedhof in der Hainbuchenstraße zurück. Auf der Grabplatte steht ja nicht nur der Name des Prinzen, sondern auch der einer Prinzessin, nämlich der Prinzessin Leontine, 1886-1950. Auf einem Medaillon, das sich zwischen den beiden Namen auf der Grabplatte befindet, liest man: Prinzessin Leontine Elisabeth Isenburg Birstein. Eigentlich hätte hier etwas anderes stehen müssen, und zwar Freifrau von Rombach. Leontine war zwar seit 11. April 1908 mit dem Prinzen verheiratet, aber sie war keine Prinzessin. Sie wurde als Bürgerliche geboren, und ihr Geburtsname lautete Leontine Rohrer. Die Ehe war morganatisch, auch „Ehe zur linken Hand" genannt. Das bedeutete, sie war nicht standesgemäß, und Frau Rohrer hatte keinen Anspruch auf den Adelstitel ihres Ehemannes. Das Einzige, was man für sie tat, war, sie zur Freifrau zu machen, was durch den Großherzog von Hessen am 31. März 1908, also kurz vor der Hochzeit geschah. Fortan durfte sie sich Freifrau von Rombach nennen.

Und was hat es mit dem Namen Birstein auf sich? Nun, das hessische Schloss Birstein ist seit 1517 die Residenz der Fürsten von Isenburg-Birstein. Die Potsdamer Neuesten Nachricht schreiben darüber: „Schloss Birstein gehört zu den wohnlichsten Schlössern in Deutschland, die man besichtigen kann. [...] So war Goethe da, Zar Nikolaus II. oder Ludwig Emil Grimm, der Malerbruder der Brüder Grimm." Aber was hat die Freifrau von Rombach mit ihm zu tun? Geboren wurde sie im böhmischen Schlackenwerth (heute Ostrov nad Ohri). Das Schloss mag sie ja besucht haben, aber sie war weder eine Isenburg noch eine Birstein.

Vielleicht hat das derjenige, der das Grab anlegen ließ, auch gar nicht gewusst. Victor Salvator, der eins von neun Geschwistern war, hatte selbst keine Kinder. Und das Grab, wie wir es heute kennen, gab es zur Zeit des Todes der Eheleute noch nicht. Am 21. November 1958 bildete der „Nordberliner" jedenfalls ein ganz anderes Grabkreuz ab, und eine Woche später schrieb die Zeitung dazu: „Das künstlerisch gestaltete Grabkreuz, das wir in unserer letzten Ausgabe im Bild zeigten, steht auf dem Grab des 1947 auf dem Waldfriedhof in Frohnau beigesetzten Prinzen Victor Salvador von Isenburg. Das Grabkreuz wurde von dem bekannten Berliner Bildhauer Lotter gestaltet. Die am Fuße des Grabes befindliche Bronze-Plakette wurde von dem Bildhauer Schott angefertigt." Bei dem Bildhauer Lotter handelt es sich offensichtlich um Johannes Lotter, auch der „Herrgottschnitzer von Frohnau" genannt.

Mit den Daten (1947!) und der Orthogra­phie (Salvador!) nahm es der „Nordberli­ner" offenbar nicht so genau. Doch dass es sich um das Grab des Urgroßonkels von Sophie Prinzessin von Isenburg han­delte, das der „Nordberliner" seinerzeit beschrieb, lässt sich schwer bezweifeln. Warum aber ist das Grabkreuz von Johannes Lotter verschwunden und hat einem neuen Platz ge­macht? Vielleicht können mir die Leser der Homepage weiterhelfen und das Rätsel lösen.