Vom „Emke’schen Haus“ zum „Dachsbau“
Fragt man nach einem Frohnauer Kinderkrankenhaus, so bekommt man zumindest von Alteingesessenen die Antwort: „Es gab eins in der Zeltinger Straße." Auch an den Namen des Klinikleiters können sich manche Frohnauer noch erinnern: Dr. Ernst Wentzler. Wentzler war seinerzeit durchaus bekannt, nicht nur als Hausarzt des ehemaligen Waldschülerheims in der Rauentaler Straße, als Erfinder der „Wentzlerschen Wärmewanne", eines Brutkastens für Frühgeborene, als Verfasser medizinischer Ratgeber, sondern auch als jemand, der in NS-Verbrechen verstrickt war.
Das „Kinderkrankenhaus St. Theresien" dagegen ist weniger bekannt. Doch im Telefonbuch von 1950 findet man sowohl die Kinderklinik als auch das Kinderkrankenhaus. Die Kinderklinik in der Zeltinger Straße existierte von der Mitte der zwanziger Jahre bis 1964, also noch über das Kriegsende hinaus, und das, obwohl Wentzler sich wegen seiner Nazi-Vergangenheit rechtzeitig vor dem Einmarsch der Russen aus Berlin abgesetzt hatte. Das „Kinderkrankenhaus St. Theresien" im Sigismundkorso 40/41 gab es nur von 1948-1952. Im Telefonbuch folgte dem Namen der Zusatz: „f. Tbc." Das erinnert an die Nachkriegszeit, als die Lungentuberkulose weit verbreitet war und in Frohnau noch ein zweites Tbc-Krankenhaus mit Namen „Waldkrankenhaus" bestand, das ebenfalls 1948 eingerichtet worden war, und zwar auf dem Gelände des Luftwaffenlazaretts am Hubertusweg. Offenbar hielt man die Gartenstadt Frohnau für einen Ort, dessen Atmosphäre Tbc-Kranken besonders zuträglich war.
Das Kinderkrankenhaus St. Theresien wurde von dem aus Breslau stammenden Orden der „Marienschwestern von der Unbefleckten Empfängnis" geführt. Seit 1888 war der Orden auch im Erzbistum Berlin vertreten. Anfangs widmete er sich ausschließlich der Betreuung gefährdeter weiblicher Jugendlicher, doch im Laufe der Zeit wurde er auch auf anderen Gebieten tätig und übernahm zum Beispiel die Führung von Krankenhäusern. Die heilige Theresia von Lisieux ist den Marienschwestern besonders lieb, weil sie ihnen als Ordensheilige und als besondere Patronin des Noviziats gilt. So nimmt es nicht wunder, dass das Krankenhaus ihren Namen erhielt.
Während die Kinderklinik des Ernst Wentzler als Krankenhaus gebaut worden war, entstand das Haus am Sigismundkorso 40/41 als normale Villa. Baubeginn war für das „Emke'sche Haus" im Jahr 1927, und bewohnt wurde es in den Jahren 1932 bis 1940 von Alfred Emke. Emke wurde im Berliner Adressbuch, dessen letzte Ausgabe 1943 erschien, zuletzt als Fabrikbesitzer geführt; offenbar war er Miteigentümer der „Deutsch-Sicilianischen Asphaltwerke" in der Reinickendorfer Kühleweinstraße, die dem Bauunternehmer Louis Schier gehörte.
Im Jahre 1940 verkaufte Emke sein Haus an die „Transocean GmbH. (TO)", seit 1915 ein Tochterunternehmen des seit 1914 bestehenden „Deutschen Überseedienstes" (DÜD). Dessen Aufgabe wurde in der Satzung des Unternehmens definiert als „Unterhaltung und Ausgestaltung von Nachrichtendiensten zwischen Deutschland und anderen Ländern, namentlich den überseeischen Gebieten."Die TO verbreitete übrigens ihre Nachrichten mit Hilfe der drahtlosen Telegrafie, einer Erfindung, die damals am Anfang ihrer wirtschaftlichen Verwertung stand.
In der NS-Zeit erlangte die „Transocean GmbH" ihre größte Bedeutung. Jetzt wurden die in deutscher, englischer und französischer Sprache verbreiteten Nachrichten über Wirtschaft, Politik und Sport im Sinne der neuen Herrscher propagandistisch aufbereitet und vornehmlich in überseeische Länder gesendet. Auch Hochseeschiffe konnten und sollten sie empfangen und für ihre Bordzeitungen benutzen. Als die Olympiade von 1936 heranrückte, baute man zusätzlich zum Nauener Sender weitere Sendeanlagen im Landkreis Niederbarnim.
Ausgerechnet in Frohnau unterhielt die TO ab 1940 also ein Büro. In diesem Zusammenhang ist interessant, was Max Mechow in seinem Buch „Frohnau, die Berliner Gartenstadt" (Stapp Verlag Berlin, 2. Auflage 1985) auf Seite 65 schreibt: „In Frohnau selbst fielen nur wenige Bomben. Ihr Ziel war der auf dem Gelände zwischen Sigismundkorso, Artuswall und Speerweg stehende ‚Atlantiksender'". Genau auf diesem Gelände stand das „Emke'sche Haus", und zwar an der Ecke Sigismundkorso und Artuswall. Das Gelände Artuswall Ecke Speerweg war im Berliner Adressbuch von 1943 als Baugrundstück ausgewiesen. Sollte es sich bei dem „Atlantiksender" um eine Anlage der „Transocean GmbH" gehandelt haben?
Dazu kommt, dass es an der Ecke Artuswall und Speerweg tatsächlich einen Sender gab. Auf dem Grundstück stand ein Gittermast, der immerhin so groß war, dass er von Abspannseilen gehalten werden musste. Eins dieser Seile überquerte den Speerweg und war auf dem gegenüberliegenden Grundstück (Speerweg 16) verankert. Die dortigen Anwohner können sich allerdings nicht daran erinnern, ob die Sendeanlage noch vor oder erst nach Kriegsende gebaut wurde. Der Sender mitsamt dem dazugehörigen Haus wurde nach dem Kriege von der französischen Besatzungsmacht requiriert und offensichtlich für ihre Zwecke genutzt. Fraglich ist auch, ob der Sender der für die Luftbrücke wichtige Peilsender „Frohnau 340" (340 Kilohertz) war. Die Fundamente für die Befestigungen der Abspannseile sind bis heute vorhanden.
Doch zurück zum „Emke'schen Haus". Nachdem die Marienschwestern ihr „Kinderkrankenhaus St. Theresien" aufgegeben hatten, wurde das Gebäude vom Deutschen Roten Kreuz übernommen, das es für die Betreuung behinderter Kinder und Jugendlicher nutzte. Die Einrichtung erhielt den Namen „Dachsbau", und dieser Name ist in Frohnau wohlbekannt. Anscheinend war dem DRK der ursprünglich ja als Wohnhaus errichtete Bau auf die Dauer zu klein, so riss man ihn ab und setzte auf das recht große Grundstück 1981 einen Neubau, der besser auf Behindertenarbeit zugeschnitten war.
Mitte 2010 übernahm die gemeinnützige Stephanus-Gesellschaft als hundertprozentige Tocher der Stephanus-Stiftung die sieben Reinickendorfer Behinderten-Einrichtungen des Deutschen Roten Kreuzes und damit auch den „Dachsbau". Die Stiftung ist übrigens Mitglied im Diakonischen Werk Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Zurzeit gibt es im „Dachsbau" neben drei Wohngruppen für Kinder und Jugendliche auch zwei für Erwachsene mit insgesamt 35 Plätzen.
So ging das „Emke'sche Haus" mit seinem Abriss zwar den Weg einer ganzen Anzahl von Frohnauer Villen und Landhäuser, doch immerhin wurde das Grundstück nicht mit Stadtvillen oder Reihenhäusern bebaut. Und der „Dachsbau" fügt sich gut ein in eine Frohnauer Tradition der Betreuung von Kranken und Behinderten, die schon der Gründer der Gartenstadt zu Beginn des Ersten Weltkrieges mit der Einrichtung des so genannten Vereinslazaretts ins Leben gerufen hatte. Diese Tradition ist umso bemerkenswerter, als Donnersmarcks Immobiliengesellschaft, die Berliner Terrain-Centrale, noch 1913 der Anna Rüdiger für den Bau eines Kindererholungsheims die Auflage erteilte, ihre Einrichtung „ nicht zur Aufnahme von Krüppeln, Geisteskranken oder von mit ansteckenden Krankheiten behafteten Kindern" zu nutzen.