Frohnauer Schilderwald

In der Festschrift zum fünfundzwanzigjährigen Bestehen des Frohnauer Grundbesitzer-Vereins findet sich auf Seite 14 der bemerkenswerte Satz: „Indem wir die Feststellung machen, daß Frohnau der Ausdruck einer wirklich künstlerischen Idee ist, betonen und fordern wir zugleich, daß ihm auch der Anspruch auf Würdigung und Schutz eines Kunstwerks zugebilligt werden muß.“ Große Worte, möchte man sagen. Im Übrigen ist in der Festschrift zu lesen, das unser Verein in den ersten Jahren eine „Verschandelungskommission“ hatte, die im Jahre 1933 den Namen „Verschönerungsausschuss“ erhielt. Auch wenn die Umbenennung mit dem Beginn der NS-Herrschaft zusammenfiel, zeigen diese Beispiele, wie sehr dem Frohnauer Grundbesitzer-Verein die Schönheit der Gartenstadt von Anfang an am Herzen lag.

In diesem Zusammenhang ist sicher interessant, was die Hermsdorf-Waidmannsluster und Frohnauer Zeitung am 28. Mai 1929 schrieb: „Am Bahnhof Frohnau gilt auf beiden Plätzen die Kreisverkehrsvorschrift. Die Polizei spricht bei Zuwiderhandlungen Strafe aus. Es wird aber abgelehnt, Richtungsweiser anzubringen, weil durch Verkehrszeichen irgendwelcher Art der Gartencharakter der Anlagen beeinflußt würde.“ (Abgedruckt in der Jubiläumsschrift zum 75. Jahrestag der Gartenstadt Frohnau auf Seite 31)

Es ist anzunehmen, dass es der Grundbesitzer-Verein war, der die Aufstellung der Verkehrsschilder ablehnte. War das vielleicht etwas zu konservativ gedacht? Hat man die Zeichen der Zeit nicht erkannt? Nun, damals war der Straßenverkehr in Frohnau durchaus überschaubar, so konnte man auf Verkehrszeichen noch gut verzichten. Man begab sich in keine große Gefahr, wenn man kreuz und quer über die Fahrbahnen im Frohnauer Zentrum lief. Der Bahnhofsplatz (Ludolfingerplatz) hatte in Richtung Bahnhof Stufen, und die Absperrungen existierten noch nicht. So nahmen die Fußgänger den direkten Weg vom oberen Teil des Platzes hin zum Bahnhofseingang. Heute bleibt ihnen nur ein gewundener Weg zum rechten oder linken Bürgersteig an der Seite des Platzes übrig.

Nun ist Frohnau so angelegt, dass sich der Verkehr im Zentrum zusammenballt. So sahen sich unsere fürsorglichen Behörden ziemlich bald veranlasst, ihre anfängliche Zurückhaltung aufzugeben und mit Schildern und Fahrbahnmarkierungen für eine neue Ordnung zu sorgen. Im Laufe der Jahre wuchs der Schilderwald und wuchs und wuchs. Was meinen Sie wohl, auf wie viele Schilder der Wald im Zentrum inzwischen angewachsen ist? Zählt man nur die unmittelbar an den Plätzen und der Brücke angebrachten Einzelteile des Schilderwalds zusammen, so kommt man auf die beachtliche Anzahl von gut und gern zweihundert Stück. Es ist häufig so, dass an einem Pfahl gleich mehrere Schilder angebracht sind. Die meisten geben Auskunft darüber, was Fußgänger, Radfahrer und Kraftfahrer zu tun und zu lassen haben. Außerdem finden sich jede Menge Hinweisschildchen, die zum Beispiel den Verlauf von Radwegen anzeigen.

Und das ist wahrscheinlich noch nicht das Ende, bedenkt man die Planungen für weitere Zebrastreifen, die das Überqueren der Fahrbahn möglichst gefahrlos machen sollen. Natürlich ist es ein gewisses Risiko, von Reichelt zur Post zu gelangen. Aber ist es nicht auch problematisch, den Fahrzeugverkehr am Bahnhof noch weiter zu regulieren?

Vielleicht wäre es nicht ganz abwegig, sich einmal mit einem neuen Verkehrskonzept zu beschäftigen. Es stammt aus Holland und trägt (leider) einen englischen Namen, nämlich „Shared Space“ (deutsch etwa: gemeinsam genutzter Raum). Man kann natürlich auch „Gemeinschaftsstraße“ oder „Begegnungszone“ sagen (Wikipedia). In der Internetplattform „Motor-Talk“ heißt es zur Erklärung: „‚Shared Space’ ist ein EU-finanziertes Projekt, bei dem der innerstädtische Raum keiner ge­sellschaftlichen Trennung mehr unterliegen soll, sondern alle Verkehrsteilnehmer ohne Ver­kehrsschilder, Fußgängerinseln, Ampeln oder anderen Barrieren die Straßen gleichberechtigt und vor allem rücksichtvoll untereinander nutzen sollen.“ (Motor-Talk, 30.06 2008).

Das hört sich sicher utopisch an. Doch das Konzept wurde schon in verschiedenen EU-Ländern ausprobiert, ganz vorsichtig, versteht sich, und mit wissenschaftlicher Begleitung. Der Leiter einer Studie, Wolfgang Bode, sagte dazu: „Wenn es nach mir persön­lich ginge, sollte man das überall machen.“ Und weiter: „Weil der Mensch gezwungen wird, wirklich auf den Ver­kehr zu achten und nicht auf Schilder, ist es für alle Beteiligten sicherer."

Was nun den Schilderwald im Frohnauer Zentrum betrifft, so ist die Meinung von Verkehrswissenschaftlern interessant, dass rund 70 Prozent der Verkehrs- und Hinweisschilder überhaupt nicht wahrgenommen werden. In der Wissenschaftssendung „Odysso“ vom SWR hieß es am 23. November 2006 über das neue Konzept: „Europas Verkehrs­planer träumen daher von Straßen ohne Schilder, Ampeln und Zwangsvorschriften.“ Unser Zentrum ohne Schilderwald – zumindest käme es dem eingangs zitierten „Anspruch auf Würdigung und Schutz eines Kunstwerks“ etwas näher.