Radfahren in Frohnau
Manche sagen, es sei kriminell, was da so am Bahnhof passiert. Die Rede ist nicht von irgendwelchen randalierenden Jugendlichen oder von Falschparkern, die ihr Auto seelenruhig im absoluten Parkverbot abstellen. Es geht um die Radler, die die Bürgersteige und Zebrastreifen in einer Weise für sich in Anspruch nehmen, als seien sie Fußgänger. Es scheint in Vergessenheit geraten zu sein, dass Bürgersteige für Fußgänger und Rollstuhlfahrer da sind und dass Radfahrer auf ihnen absolut nichts zu suchen haben. Eine Ausnahme sind Kinder, die bis zum vollendeten achten Lebensjahr auf dem Bürgersteig fahren müssen oder, wenn sie neun oder zehn Jahre alt sind, dort fahren dürfen. Aber das nicht, so schnell sie wollen oder können. Vorgeschrieben beim Fahren auf dem Bürgersteig ist Schrittgeschwindigkeit, also vier bis sechs Stundenkilometer.
Wenigen Menschen scheint klar zu sein, dass Kinder, die auf dem Gehweg fahren, absteigen müssen, wenn sie eine Fahrbahn überqueren wollen. Das gilt natürlich auch dann, wenn sie dabei einen Zebrastreifen benutzen. Wie oft kommt es in Frohnau vor, dass Radfahrer – und keineswegs nur solche im Kindesalter – die Zebrastreifen im Zentrum befahren und dabei den Schutz, den diese Übergänge Fußgängern und Rollstuhlfahrern gewähren sollen, für sich in Anspruch nehmen. Gerade am westlichen Ende der Frohnauer Brücke, wo die Bürgersteige schmal sind, entstehen häufig gefährliche Situationen, wenn Radfahrer unvermutet hinter der Konditorei auftauchen und den Fahrdamm auf dem Zebrastreifen überqueren. Dieses waghalsige Verhalten kann Autofahrern auch dann zum Problem werden, wenn sie sich nach Vorschrift dem Zebrastreifen mit mäßiger Geschwindigkeit nähern. Erst recht wird’s gefährlich, wenn sie, wie es besonders in den Abendstunden immer wieder geschieht, viel zu schnell über die Brücke brausen.
Allerdings muss man zugeben, dass Radfahrer in Frohnau nicht gerade gut behandelt werden. Es gibt nur wenige Radwege und viele schlechte Fahrbahnen. Das und auch wohl das Gefühl, auf den Straßen den Autofahrern schutzlos ausgeliefert zu sein, führt sicher dazu, dass so manche Radfahrer auf die Bürgersteige ausweichen. Vor allem gilt das bei Eis und Schnee, wenn, wie im letzten Winter, die meisten Straßen spiegelblank sind und das Radfahren auf ihnen ein Hasardspiel ist. Zwar werden auch nicht alle Bürgersteige vorschriftsmäßig gefegt, doch ist bei winterlichen Verhältnissen das Radfahren auf ihnen weniger gefährlich als die Straßenbenutzung, sieht man einmal von der Gefahr von eventuell folgenschweren Kollisionen mit Fußgängern ab. Letzteres wird allerdings von den Bürgersteigfahrern aus dem Bewusstsein verdrängt.
Was nun die Radwege anlangt, so hat die 24. Novelle der Straßenverkehrsordnung vom 1. Oktober 1997, die bis zum 1. Oktober 1998 umgesetzt werden musste, auch in der Gartenstadt für einige Verwirrung gesorgt. Da viele Radwege, die ja eigentlich für mehr Sicherheit sorgen sollten, sich als eher unsicher herausstellten, weil sie zu schmal oder zu unübersichtlich waren, hat man ihre Benutzung kurzerhand als optional deklariert. Mit anderen Worten, es gibt seit 1997 zwei Kategorien von Radwegen, solche, die benutzt werden dürfen („andere Radwege“), und solche, die benutzt werden müssen („Radwege“). Letztere müssen mindestens 1,50 Meter breit sein, eine ebene Oberfläche aufweisen und eindeutig erkennbar sein. Diese Radwege werden mit dem Verkehrszeichen (Vz) 237 beschildert (weißes Fahrrad in blauem Kreis).
Nun hat man in Frohnau natürlich schon vor 1997 Radwege angelegt, wenn auch nur ganz wenige. Der erste war wohl der schmale Streifen, der die Oranienburger Chaussee säumte. Der wurde allerdings bald unbenutzbar und zwar auch dort, wo er nicht dem Todesstreifen zum Opfer fiel, also im Frohnauer Teil der Straße 96. Ohnehin wurde er nicht mehr gebraucht, denn während der Mauerzeit war die Chaussee eine Sackgasse mit wenig Verkehr. In den fünfziger Jahren erweiterte man die Burgfrauenstraße als Ersatz für die gesperrte Chaussee und legte auf ihrer westlichen Seite einen Radweg an. Als der Sigismundkorso ausgebaut und mit vielen neuen Laternen versehen wurde, stellte man auf beiden Seiten einen rot gepflasterten Radweg her. Beide Wege erhielten das Verkehrszeichen 237, mussten also von den Radfahrern benutzt werden.
Jedoch genügten sie ab 1997 nicht mehr den festgelegten Kriterien für einen obligatorischen Radweg. Die Schilder wurden entfernt, und die Seitenstreifen fielen in die Kategorie „andere Radwege“ zurück, das heißt, sie durften, mussten aber nicht benutzt werden. Sie sind aber noch durch ihre Markierungen als Radwege erkennbar. Allerdings ist das beim Radweg an der Burgfrauenstraße nicht so eindeutig, denn er hat normales Bürgersteigpflaster. Zwar sind die Auffahrten (Rindsteinabsenkungen) noch vorhanden, und an der Fischgrundbrücke weisen die Markierungen deutlich auf einen Radweg hin. Da aber entlang der Bahn kein Bürgersteig vorhanden ist, reklamieren die Fußgänger den Weg für sich, zumal kein Schild ihn als Radweg ausweist. Meist weichen Fußgänger und Radfahrer einander wortlos aus, aber manchmal fallen auch böse Worte. Sieht auch die Behörde den Weg als Bürgersteig an, so sollte sie das vielleicht durch entsprechende Schilder deutlich machen.
Noch verwirrender ist die Lage an der Oranienburger Chaussee. Dort hat man nach dem Fall der Mauer und der Wiederherstellung der Straße auf der Glienicker Seite einen Radweg angelegt, der seit kurzem nördlich der Leipziger Straße auf Frohnauer Gebiet fortgesetzt wird. Wer den Radweg benutzt, wird in ein Wechselbad der Gefühle gestürzt. An der „Glienicker Spitze“ (Schönfließer Straße) steht das Verkehrszeichen 241, das die Radfahrer auf die linke und die Fußgänger auf die rechte Seite verweist. Der Radweg geht nach den rechts einmündenden Straßen weiter, ohne dass ihn weitere Verkehrszeichen als solchen ausweisen. Ist er also von der Lindenstraße an kein obligatorischer Radweg mehr? Der starke Verkehr auf der Chaussee lässt es allerdings geraten erscheinen, auf ihm zu bleiben.
Schlimm wird es kurz vor der Leipziger Straße. Da hört die rote Pflasterung des Radwegs plötzlich auf, ohne dass die Radfahrer auf die Straße geleitet werden. Wahrscheinlich sollen sie auf dem Fußweg weiterfahren, denn an den nächsten Ecke, der Einmündung der Leipziger Straße, zeigen Markierungen an, dass der Radweg fortgesetzt wird. Hier, auf Frohnauer Gebiet, steigt er sogar plötzlich auf zur Kategorie „Radweg“ mit Verkehrszeichen 237. Allerdings ist der Weg zwar eben, aber an den vorgeschriebenen 1,50 Meter fehlen ihm noch circa 30 Zentimeter. Trotzdem kann, wer gerade noch das ungute Gefühl hatte, eventuell unberechtigt auf einem Bürgersteig zu fahren, jetzt aufatmen, denn er befindet sich de jure auf sicherem Grund.
Doch ach, die Erleichterung währt nicht lange. Etwa zweihundertfünfzig Meter weiter, am Bundschuhweg, ist die Freude vorbei, wie ein etwas merkwürdiges Verkehrsschild dem Radler mitteilt. Es ist das umfunktionierte Zeichen 241 mit rot durchgestrichenem Fahrrad, das statt eines ordentlichen Zusatzschildes das Ende des Radwegs verkündet. Jetzt muss der Radfahrer endgültig auf die Straße und sich nolens volens in einen regen Autoverkehr einfügen.
Auf der gegenüberliegenden Seite gerät der aufmerksame Radfahrer vollends ins Grübeln. Von Norden kommend wird er am Bundschuhweg durch das Vz 237 aufgefordert, den Radweg zu benutzen. Direkt vor der nächsten Ecke, der Einmündung des Edelhofdamms, steht wieder ein Vz 237. Der obligatorische Radweg geht also weiter, möchte man meinen. Etwas unsicher wird man, weil hinter der Kreuzung kein Vz 237 mehr auftaucht. Schließlich vereint sich der Radweg mit dem Bürgersteig, und plötzlich steht der Radfahrer vor einer geradezu absurden Situation. Durch ein offizielles Schild wird er quasi vor der Benutzung des Radwegs gewarnt. Auf dem Schild ist zu lesen: „Radweg. Benutzung auf eigene Gefahr.“ Soll er jetzt lieber auf den Fahrdamm überwechseln? Und wovor wird da eigentlich gewarnt? Der Weg ist weder uneben noch schmal. Allerdings reicht er bis an die Gartenzäune, und hinter denen stehen PKWs, mit denen man kollidieren könnte, wenn sie die Grundstücke verlassen. Aber abgesehen davon, was ist eigentlich mit den Fußgängern? An die hat man wohl nicht gedacht. Gehört hierhin nicht das Vz 240, das den von Radfahrern und Fußgängern gemeinsam zu benutzenden Weg bezeichnet?
Ein kurzes Stück weiter wird aus dem „gefährlichen“ Radweg ein Weg durch eine geschützte Grünanlage, und hier kommen endlich die Fußgänger zu ihrem Recht: Eins der drei Schilder, die ein hellgrauer Pfahl auf sich vereint, verkündet: „Fahrräder (dargestellt durch ein Piktogramm) frei. Fußgänger haben Vorrang.“ Na also. Da hat sich doch endlich jemand Gedanken gemacht. Eigentlich ist es bei so viel Behördenwirrwarr fast schon verständlich, dass die Radfahrer sich ihre eigenen Gesetze machen.