Kleine Geschichten vom Kasinoturm Frohnau

Frohnaus Wappen zeigt an zentraler Stelle einen Turm, den Kasinoturm. Er ist das Wahrzeichen Frohnaus, aber nicht der einzige Turm, sondern einer von fünf. Außer dem Turm am Bahnhof gibt es noch zwei Kirchtürme, einen ehemaligen Wasserturm auf dem zu Frohnau gehörenden Hermsdorfer Friedhof und einen Sendeturm im Norden Frohnaus. Früher stand neben ihm noch ein (viel größerer) Sendeturm, doch der wurde am 8. Februar 2009 gesprengt.

Der Kasinoturm wurde als Teil eines Ensembles, das auch den Bahnhof und das Kasino umfasste, am 1. Mai 1910 fertiggestellt, sechs Tage vor der Gründungsfeier der Gartenstadt. Dort, wo zuletzt der Eingang zum Turm-Restaurant war, gab es in den alten Zeiten eine „Stehbierhalle“, die im Volksmund „Kutscherkneipe“ hieß, weil, wie Rudolf Neumann in seinen „Frohnauer Erinnerungen“ erklärt, vor dem Kasinoturm immer zwei bis drei Pferdedroschken standen, deren Kutscher sich die Wartezeiten gern mit einem Kneipenbesuch verkürzten.

Sobald die Nazis die Herrschaft in Deutschland übernommen hatten, nahmen sie den 35-Meter-hohen Turm in ihren Dienst und „zierten“ ihn zu allen möglichen Gelegenheiten mit der Hakenkreuzfahne. Und dann missbrauchten sie ihn zu Kriegszwecken. Damit er der Luftabwehr dienen konnte, entfernte man seine Haube und installierte einen Beobachtungs- und Leitstand auf ihm, der die Flakhelferinnen an den Scheinwerferbatterien mit Informationen versorgte. Ich kann mich noch gut erinnern, wie die Scheinwerfer in Frohnau und Umgebung nachts – auch wenn noch kein Fliegeralarm war – den Himmel absuchten und ihre Lichtstrahlen sich immer wieder einmal kreuzten, wenn ein verdächtiges Objekt entdeckt worden war.

An der Vorderfront des Turms ist noch heute zu lesen: „Kasino Frohnau“. Aber das Kasino wurde im Kriege zerstört; nur der Turm, ein Verbindungstrakt und der Bahnhof blieben übrig. Als Ersatz für die verloren gegangenen Kasinorestaurants gab es nun ein Restaurant im Turm.

Dass den Kasinoturm der Kopf eines Zehnenders, also eines stolzen Hirsches ziert, hat wohl damit zu tun, dass seinerzeit die Stolper Heide, zu der ja auch der Gutsbezirk Frohnau gehörte, voll von Rehen, Hirschen und Damwild war. So war es auch kein Wunder, dass auf der Speisekarte Turmrestaurants allerlei Wildgerichte standen. Die gastliche Stätte galt als Frohnaus gute Adresse, und hier konnte man so mancher Berühmtheit begegnen wie den Schauspielern Klaus Miedel, Siegfried Schürenberg oder Wolfgang Kühne. Später wurde das Restaurant umgebaut, die Trinksprüche an den Wänden verschwanden, die Bewirtschaftung wechselte mehrmals. Eine Zeitlang speiste man jugoslawisch. Zuletzt bot der türkische Wirt Özkan Araz mexikanische und internationale Speisen an.

Mit dem Turm ist eine putzige Geschichte verbunden. Am 27. August 1955 erschien im Tagesspiegel folgende Anzeige: „Neueröffnung. Im Kasino-Frohnau, Ludolfinger Platz 1, rollt die weiße Kugel. Eröffnung: Sonnabend, den 27. August 1955, Beginn: Täglich ab 19 Uhr.“ Auf der linken Seite der Anzeige stand schräg von unten nach oben: „Roulette.“ Das hätte da besser nicht stehen sollen, denn Roulette ist ein Glückspiel. Öffentliche Glücksspiele aber sind verboten, denn der Gesetzgeber will „die Bevölkerung vor den Versuchungen bewahren [...], welche jedes Glücksspiel naturnotwendig mit sich bringt...“ (aus einer Urteilsbegründung).

Es hätte „Rouletta“ heißen sollen, verteidigte sich der Betreiber, ein gewisser Herr G. aus Westdeutschland, der in der Zeltinger Straße einen Zweitwohnsitz hatte. Den Text für die Anzeige habe er nicht selbst verfasst, daher der Fehler. „Rouletta“ sei ein Geschicklichkeitsspiel. Dafür brauche er nur eine Gewerbeerlaubnis. Die habe ihm das Bezirksamt Reinickendorf am 7. September 1955 erteilt. Gebühr: 10 DM. Weiter sei nichts zu genehmigen. Der Polizei sei die Eröffnung des Spielbetriebs lediglich anzuzeigen, zumal es sich um ein „nichtmechanisch betriebenes Geschicklichkeitsspiel“ handele und keineswegs um ein Glücksspiel.

Die Polizei war ganz anderer Meinung und verbot es einfach. Gegen Herrn G. erging eine polizeiliche Verfügung, die am 10. September zugestellt wurde – mit Rechtsmittelbelehrung, wie es sich gehört. Es handele sich bei „Rouletta“ um ein Glücksspiel im Sinne des § 284 StGB. Die Polizei werde einschreiten und den verbotenen Spielbetrieb unterbinden, sollte Herr G. sein Spielkasino der Polizei zum Trotz eröffnen.

Herr G. aber gab nicht so schnell auf und erhob gegen die polizeiliche Verfügung Klage beim Verwaltungsgericht. Die mündliche Verhandlung fand am 21. Oktober 1955 statt. Das Gericht schloss sich der Auffassung der beklagten Behörde an. Vielleicht sei bei „Rouletta“ einiges durch Geschicklichkeit zu erreichen. Aber es müsse vom Gesamtcharakter des Spiels ausgegangen werden. Bei einigen Setzarten hänge die Entscheidung über Gewinn oder Verlust überwiegend vom Zufall ab. Ergo müsse das ganze Spiel als Glücksspiel angesehen werden. Und so lautete das Urteil: „Die Klage wird abgewiesen. Die Kosten werden dem Kläger auferlegt. Der Streitwert wird auf 5000,-- DM festgesetzt.“

Kein Glück für Herrn G. Außer Spesen nichts gewesen. „Überwiegend vom Zufall“ – mit ein bisschen Geschicklichkeit wollte sich der Staat nicht zufriedengeben. Wenn schon Glücksspiel, dann doch bitte unter seiner Obhut. Der Versuch, im Kasino Frohnau ein privates Spielkasino zu etablieren, war jedenfalls gescheitert.

Einst gab es die Möglichkeit, den Turm zu besteigen und Frohnau von oben herab zu betrachten. Diese Gelegenheit ließ sich unser Posaunenchor nicht entgehen. Mindestens zweimal machte sich das Bläserensemble mit seinem Leiter Horst Nordmann auf den Weg nach oben, suchte auf der schmalen Aussichtsplattform mit einiger Mühe Platz für seine Notenständer und schickte schließlich seine Musik hinab auf den Ludolfinger­platz, von wo tatsächlich einige Menschen die Hälse reckten und den Blick nach oben richteten. Im Turm gab es übrigens zwei Apartments, in denen zu wohnen ein besonderes Erlebnis war. Diese Zeiten sind vorbei; normale Sterbliche können weder hinauf zur Aussichtsplattform klettern noch in den Turmzimmern Quartier nehmen.

Bevor das Restaurant wegen Baufälligkeit schließen musste, gab es etwas Neues um das Frohnauer Wahrzeichen. Der Wirt des Restaurants, Aras Özkan, ein in Berlin geborener Türke, machte eröffnete zunächst das „Mexiko“ und später den „Moon Garden“, ein internationales Spezialitäten-Restaurant: Aus dem Festsaal in der ersten Etage wurde der „Moon Wood“, eine Cocktail Lounge, und zwischen S-Bahn und Turm entstand eine Strandbar, wo man seine Getränke in südlicher Atmosphäre auf Liegestühlen schlürfen konnte. Die Strandbar gab es nur einen Sommer, und das Restaurant musste im Jahre 2011 schließen. Schade.

Schade um so mehr, als der Kasinoturm, das Frohnauer Wahrzeichen, jetzt noch weniger Aussischt hat, ein allgemein zugänglicher Aussichtsturm zu werden. Apropos Aussicht: Natürlich kann man sagen, dass es von da oben nicht mehr viel zu sehen gibt, da die meisten Häuser im Laufe der Jahre unter den Bäumen verschwunden sind. Trotzdem ist ein Aus­sichtsturm immer eine At­traktion. Dass man am Ka­sinoturm die Uhrzeit able­sen kann, ist ein bisschen wenig. Ein paar Jahre stan­den auf der Aussichtsplatt­form zur Weihnachtszeit vier kerzenbestückte Tänn­chen. Aber auch das ist ver­gangen.

Übrigens gab es eine zuckersüße Version des Kasinoturms: Zur 75-Jahr-Feier der Gartenstadt wurde das Wahrzeichen vom Frohnauer Konditormeister Günter Thorwest in Zucker nachge­bildet. Der bekannte Kabarettist Wolfgang Gruner versteigerte es, und der Käufer, der Inhaber des Reisebüros Henke, überließ es dem Zuckermuseum in der Amrumer Straße.